Ich habe eine Mail an einige Europaabgeordnete bezüglich der geplanten Urheberrechtsreform/Uploadfilter geschrieben:
Als Informatiker und Autor bitte ich Sie gegen die geplante Urheberrechtsreform zu stimmen. In ihrer jetzigen Form kann sie als Werkzeug gegen unsere Demokratie verwendet werden.
Die Politik darf nicht restriktive Gesetze blauäugig und in dem Glauben verfassen, dass sich der jetzige politische und gesellschaftliche Status Quo nicht ändern wird. In den Händen von „alternativen“ Parteien und global agierenden Konzernen sind Uploadfilter ein Instrument der Zensur – um unliebsame Meinungen zu unterdrücken und sogar gegebenenfalls deren Urheber ausfindig zu machen. Legislative, Judikative und sogar die Exekutive werden auf diese Art privatisiert.
Das klingt für Sie vielleicht wie maßlos übertriebene und ungerechtfertigte, dystopische Panikmache – aber in Zeiten von Big Data und von als Betriebsgeheimnis eingestuften Algorithmen zum wirtschaftlichen Scoring der Bürger sind (wenn auch primär ungewollte) wirtschaftliche Sanktionen durch Firmen auch gegen unbescholtene Bürger bereits heute Realität.
Uploadfilter werden dafür sorgen, dass die Meinungshoheit im Internet durch einige wenige IT-Großkonzerne kontrolliert werden wird. Technisch interessierte und engagierte Menschen werden sich andere Plattformen für den Meinungs- und Kulturaustausch suchen, die sich der Kontrolle durch Politik und Konzernen entziehen. Uploadfilter werden die Politikverdrossenheit und Europafeindlichkeit der breiten Öffentlichkeit weiter befördern, ein Klima des Misstrauens und der Überwachung schaffen und so radikalen Parteien verstärkten Zulauf bescheren.
Was würden Sie persönlich denken, wenn Sie wüssten, dass jedes Wort, welches Sie öffentlich posten, durch einen Computer vor der Veröffentlichung geprüft wird und Ihnen als sofortige Sanktion im Wiederholungsfall der Ausschluss von der Kommunikationsplattform droht? Würde diese Vorstellung dafür sorgen, dass Sie weiterhin ihre Meinung im Netz vertreten, oder würde sie Sie langfristig einfach verstummen lassen?
Man muss nicht für jedes gesellschaftliche oder technische „Problem“ ein Gesetz erlassen. Ebenso sollte man die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen und die durch den gesellschaftlichen und technischen Wandel im Niedergang befindlichen Berufszweige künstlich am Leben erhalten.
Lassen Sie sich nicht durch Lobbyisten in Ihrer freien Wahl beeinflussen, stimmen Sie bitte im Sinne der Wählerinnen und Wähler – und für die ungefilterte Meinungsäußerung in einem freien Europa.
Irgendwie fühle ich mich bei der Blauäugig- und Sorglosigkeit der Politik an die Weimarer Republik – und zugleich in der Leugnung jedweder persönlicher Verantwortung und der Delegation dieser an die Vorgesetzten (hier: die Algorithmen), an das Dritte Reich erinnert. Als Symbol (auch wenn ich nur weniger hundert Besucher dadurch erreichte), schaltete ich gestern zudem alle meine Webseiten für 24 Stunden ab.
Tatsächlich entfernt sich die Politik immer weiter von der Realität der Bürger. Letzten Dienstag erreichte mich die sehr erfreuliche und lange überfällige Meldung, dass sich Thorsten Schäfer-Gümbel endlich aus der Politik verabschiedet. Er startete als junger, frischer Politiker, was ich seinerzeit schon als Farce empfand, denn hier wurde offenbar fälschlich das biologische Alter des Kandidaten mit innovativer Kraft gleichgesetzt. Nachdem ich ihn letztes Jahr auf einer Regionalkonferenz der SPD erleben durfte (musste!) und die Abstimmung zur Groko aus meiner Sicht scheiterte, trat ich aus der SPD aus. Wenn sich die großen Volksparteien nicht von ihren analogen Neulandpolitikern trennen, wird sich die Schere zwischen Politik und Gesellschaft weiter öffnen.
Das darf nicht passieren, denn wir brauchen ein starkes, einiges Europa zur Friedenssicherung und als wirtschaftlichen Gegenpol zu den USA und China. Es geht nicht nur um die Freiheit des Internets, es geht um unser aller Zukunft. Die Politik muss langsam in der digitalen Welt ankommen, wenn sie mittelfristig gesellschaftlichen Rückhalt haben möchte. Schreibt die Europaparlamentarier Eures Bundeslandes mit einem ähnlichen Text (oder auch diesem, das steht Euch frei) an.