E-Auto im Notfall laden

Prinzip Hoffnung funktioniert weder bei Verbrennern noch bei E-Autos. Wenn man bei beiden mit zu geringer Restweite losfährt, endet es mit einem Spaziergang. Einen Stinker kann man mit einem Benzinkanister wieder fortbewegen, aber was mache ich bei einem Elektrovehikel?

Blauäugig

Wir kamen vom Flughafen zurück und ich wollte unbedingt den Twizy mit nach Hause nehmen. Meine Frau hatte ihn in Seeheim bei ihrer Mutter mit 7 km Restreichweite vor die Tür gestellt. Sie wurde indessen von ihrer Mutter mit dem Gepäck in deren A2 nach Hause gefahren.

Unser Rodius steht mit heulendem Hinterachsdifferential beim Alex in der Werkstatt.

Ich setze mich in den Twizy und drehe den Zündschlüssel: Drei Balken. Kein Problem, dann lade ich ihn einfach ein paar Minuten an der Ladesäule um die Ecke auf und fahre dann zurück.

Da fällt mir ein: Ich kaufte mir neulich doch ein neues Telefon. Zwar hatte dieses Google-Umzugsprogrammgedöns Bilder kopiert und Apps installiert, aber bisher waren alle Apps ohne Einstellungen, denn die wurden wohl nicht mit kopiert.

Ich starte Mobility+. Anmelden. Mist. Ich benutze generierte Passwörter, die sich kein Mensch merken kann. Ach, da habe ich gerade echt keinen Bock drauf. Aber was muss, das muss. Ich will gerade das Passwort zurücksetzen lassen, da geht mein Telefon auch schon aus. Drei Tage am Stück ohne Zwischenladung und mit teils aufgespannten Hotspot fordern ihren Tribut.

Aber mit drei Balken schaffe ich es eigentlich immer knapp hoch. Das sind zwanzig und ein paar zerquetschte Prozent. Ich fahre los.

Denkste!

Nach nur 50 m verschwindet der dritte Balken. Oh Mann! Noch 19 % oder eben 1,01 kWh im Akku. Da muss ich sparsam fahren. Leicht gesagt, auf der Landstraße bergauf. (6,4 kWh/100*90% SoH/100*19, klar soweit?)

Ich schleiche die Straße hoch und es kam, wie es kommen musste: bei 4 km Restreichweite nimmt die Elektronik die Leistung komplett weg. Was auf ebener Strecke noch absolut okay ist, ist bergauf kein Spaß mehr. Ich krieche mit Schrittgeschwindigkeit den Berg hoch und suche mir die nächste sichere Abstellmöglichkeit.

Die befindet sich an einem Gasverteiler. Der Schotterweg der Zufahrt ist abschüssig, ich rolle hinunter, nehme den Schwung mit und rolle nach einer halben Wende rückwärts neben einen Pfahl, an dem eine Art Steckdose hängt.

Eine URL steht auch dabei. Cool.

Einfach eine Steckdose ohne zu Fragen zu benutzen ist doof. Das Telefon ist leer. Ich beschließe also die letzten 2,2 km auf Schusters Rappen zurückzulegen. Das tut mir mal ganz gut.

Da wusste ich auch noch nicht, dass ich mehr als einmal laufen müsste.

Auf dem Weg überlegte ich mir, was es doch für eine dumme Idee war, zu riskieren liegenzubleiben. Schließlich kann man ein E-Auto nicht einfach mit einem Reservekanister wieder aufladen!

Problem vertagt

Das Auto steht safe. Da kann es erst einmal bleiben. Ich beschließe, das Problem am nächsten Tag anzugehen. Telefon laden und ausschlafen.

Am nächsten Tag laufe ich wieder zurück zum Auto. Gebe die URL ein und bemerke, dass hier ja immer ein Funkloch ist. GSM-Geschwindigkeit. Super. Die Website lädt nicht.

Frau angetextet, denn Messenger funktionieren auch mit kBit-Geschwindigkeiten. Bei der zuständigen Stelle angerufen. Ja, sie sind für die Leitungspläne zuständig. Ob da eine Steckdose ist, wissen sie nicht. Wenn sie aber an meiner Stelle wären, würden sie die Steckdose einfach benutzen.

Hmmm, unbefriedigend. Aber okay, bevor das hier zu einer Odyssee ausartet …

So einen Vierkantschlüssel hatte ich nicht im Fundus. Ich nahm aber eine kleine Spitzzange mit. Aber ich stellte fest, dass man die Schrauben einfach mit der Hand lösen konnte, die waren ganz lose. Und was ich dann sah …

Keine Steckdose
Keine Steckdose

WTF? Was ist das? Da stecke ich doch nicht meinen Twizy dran. Ist das eine spezielle Steckdose? Ist da etwas abgebrochen? Eine Steckdose aus den fühen 1950ern? Der Abstand stimmt, aber ich sehe keinen Schutzleiter. Gruselig.

Also wieder zurücklaufen. Das waren dann gesamt 6,6 km. Klasse.

Was ist das?

Am nächsten Tag wieder dorthin. Mit meinem Multimeter. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und sie starb. Was das auch immer ist, es führt keinen Wechselstrom. Und nun sehe ich auch, dass die Buchsen viel zu klein für die Schuko-Stecker-Stifte sind. Hätte ich mal vor 4,4 Kilometern merken sollen.

Wieder nach Hause. Das sind dann insgesamt 11 Kilometer. Es ist viel zu warm und ich befürchte, dass ich unter Long-Covid leide, denn ich bin krass kurzatmig. Auf der Hälfte der Strecke nimmt mich Benny mit. Ich möchte erst nicht einsteigen, sage, dass ich durchgeschwitzt bin. Er besteht aber darauf. Nach wenigen Metern öffnet Benny das Fenster. Ich hatte ihn gewarnt.

Faxen dick!

So langsam habe ich die Schnauze voll.

Meine Optionen sind:

  • Einen Generator kaufen. Wie das ausging? KLICK
  • Einen Generator mieten. Dazu benötige ich ein weiteres Auto.
  • Den Twizy zu verkaufen. Soll sich doch der Käufer drum kümmern. Dachte ich wirklich an!

Generator

In Pfungstadt gibt es einen Verleih für PA-Equipment. Die führen auch Inverter-Generatoren. Kostet 50 EUR am Tag. Benzin ist inbegriffen. Fairer Preis. Ein Benzinkanister an der Tanke zu kaufen und zu füllen ist nicht signifikant billiger.

Wir leihen uns den A2 von meiner Schwiegermutter und holen den Generator. Damit laden wir den Twizy, was problemlos klappt.

Twizy Notstrromgenerator
Twizy Notstromgenerator
Twizy Notstrromgenerator
Twizy Notstromgenerator
Twizy Notstrromgenerator
Twizy Notstromgenerator

Allerdings nur ein zwanzig Minuten. Der Plan ist, den Twizy nach Seeheim zu fahren und dort zu laden, während wir den Generator zurückbringen und dann einkaufen gehen.

Den Generator darf man nicht kippen und liegend ist er zu groß, als dass er problemlos auf den Rücksitz des Twizy passen würde. Den Generator und mich dort hinauszuwerfen, den Twizy vor Ort vollladen und den Generator mit dem Twizy zurückzubringen fällt also flach.

Ladesäule 1

Ich schaue auf die Mobiity+ App: Ja, die nächste Ladesäule, die an der Bürgerhalle, hat einen freien Platz.

Am Arsch! Als wir ankommen, ist die komplett belegt! Da steht immer, wirklich immer eine Carsharing-Zoe und eine A-Klasse. Keines der Fahrzeuge wird geladen. Auch wie immer. Ich fluche lautstark. Die Blockiergebühren sind immer noch zu niedrig!

Ladesäule 2

Mit dem Twizy kann ich aber nicht bei unserem Aldi laden. Das Ding lässt kein einphasiges Laden zu. Also auf zur nächsten 11 kW-Ladesäule. Die ist am Schwimmbad in Jugenheim. Dort soll ein Platz frei sein, sagt die App.

Angeblich freie Ladesäule
Angeblich freie Ladesäule

Und?

Ladesäule belegt
Ladesäule belegt

Beide Plätze belegt und beide laden auch! WTF? Ich drehe fast durch und gebe auf dem Parkplatz das Rumpelstilzchen!

Ladesäule 3

In die App geschaut: 500 Meter weiter ist die nächste Säule. Die bei der Straßenbahnhaltestelle. Auch beide frei. Komisch, da steht sich doch sonst auch immer ein Carsharing-Auto die Reifen platt.

Beim Schreiben dieser Zeilen überlege ich, ob man so ein Ding nicht einfach ad hoc mietet, von der Ladesäule wegfährt und sich dann selbst dahinstellt. Kann doch nicht die Welt kosten. Eine Stunde, null Kilometer.

Gut, an der Straßenbahnhaltestelle angekommen kann ich mein Glück kaum fassen: Beide Plätze sind frei! Hurrrrrraaaaahhh!

Stecker rein, App raus. Auf das Standortsymbol geklickt und … was? Wo ist die Ladesäule? Die war doch vor zwei Minuten noch da!

Zoome raus. Die soll 100 Meter weiter stadtauswärts sein? Aber da ist nichts. Gar nichts. Da ist ein Feld. Das ist noch vor dem Ortsschild. Egal, ich starte den Ladevorgang.

„Technischer Fehler“

Argh! NEIN! NEIN! NEIN! Ich habe nun echt nur noch eine Handvoll Elektronen im Akku! Das kann nicht wahr sein!

Ich rufe bei der Hotline an, schildere das Problem. Die Frau möchte mir die Ladesäule freundlicherweise remote freischalten.

Ich höre tippen und wie sie die Stirn in Falten legt. „Die Ladesäule kommuniziert nicht! Sie ist nicht erreichbar! Auch der zweite Port nicht!“.

Uaaaaargh! Deutschland und die Digitalisierung! Die App zeigt belegte und kaputte Ladesäulen als frei an!

Aber wir haben ja noch den Generator im Kofferraum des A2. Hier an der Hauptstraße ist es meiner Frau zu laut. Wir fahren auf den Parkplatz beim Schwimmbad zurück. Vielleicht ist ja indessen eine Säule wirklich frei?

Nochmal Ladesäule 2

Nein, natürlich ist die immer noch belegt. Also packen wir den Generator aus und laden den Twizy 40 Minuten lang. Damit sollte ich wieder nach Hause kommen.

Welch ein Anblick! Ich lade ein Elektroauto neben einer Ladesäule mit einem röhrenden Generator, der Benzinwolken ausstößt! Absurder geht es kaum.

Mobile Ladesäule
Mobile Ladesäule

Imbiss

Nun haben wir aber Hunger. Hat natürlich alles viel länger als geplant gedauert. Der nächste Imbiss ist der Ali Baba 3. Dort angekommen, stellen wir fest, dass der auch weg ist. WTF?

Ja, der heißt jetzt Meli.

Das Essen ist wesentlich besser als vorher! Top!

Renoviert haben die auch. Es gibt neue Bänke. Die haben sogar den Namen eingestickt. Edel. Das Ali Baba 3 heisst nun Meli und die Bänke Golden Fisch?

Golden Fisch
Golden Fisch

Fünf-Sterne-Restaurant? Golden Fis(c)h? Ach, passt schon.

Geldbeutel gefunden!

Um die Ecke war ein Flohmarkt in der Bürgerhalle Jugenheim, da haben wir massenweise Kuchen gekauft. Selbst gebacken und sehr lecker. Als wir uns hingesetzt haben, lag da der Geldbeutel eines Kindes:

Geldbeutel gefunden
Geldbeutel gefunden

Geldbeutel? Ja, die Südhessen nennen Portemonnaies „Geldbeutel“.

Von den Organisatoren wollte niemand den Geldbeutel annehmen, so mussten wir ihn mitnehmen. Ein Aufruf in den üblichen Facebook-Gruppen brachte keinen Erfolg. Vielleicht liest aber jemand diesen Artikel und kenn die Besitzerin?

Danach brachten wir den Generator wieder zurück zu den netten Leuten von da-sound in Pfungstadt und gingen einkaufen.

Kofferraum Audi A2
Kofferraum Audi A2

Auf dem Rückweg brachte meine Frau ihrer Mutter Einkäufe vorbei und ich fuhr schon mal nach Hause.

Oh Schreck!

In der letzten S-Kurve vor Ober Beerbach bricht plötzlich die Leistung komplett ein. Ich schalte den Warnblinker ein. Was ist das jetzt? Kann die Elektronik spinnen? Ist der Akku doch nicht so voll, wie gedacht? Das kenne ich von Smartphone auch. Zeigt beim Laden 20 % an, man stöpselt es ab und einige Minuten später sind es noch fünf Prozent!

Das kann ja sein, denn ich hatte den Twizy noch nie so krass leer gefahren, hauptsächlich nicht unter Last.

Nach der Kurve wurde es flacher und der T berappelte sich wieder. Ich fuhr aber trotzdem piano weiter und kam so problemlos bis nach Hause.

Nach dem Vollladen fährt er auch wieder ganz normal.

Fazit

Und die Moral von der Geschicht?
Fahre leer Dein Twizy nicht!

Passender Generator

Ich machte den Fehler und fragte bei Amazon andere Kunden, ob ein Generator zum Laden geeignet sei. Das hätte fast den Twizy gegrillt, denn es antworteten nur Boomer. Und nun? Welchen Generator kann man zum Laden eines Twizy verwenden?

Günstig: Stromerzeuger GNR.3050 | 2.800 W | Inverter

Gut: Hyundai HY3200SEi D, Inverter, 3.200 Watt (Nennleistung 2.800 Watt)

Der Twizy benötigt 230 Volt und 10 A Ladestrom, also 2.300 Watt oder 2,3 kW. Da ein Generator nicht über längere Zeit am Limit betrieben werden sollte, ist ein kleiner Puffer (hier 500 Watt) gut.

Auch sollte ein Generator nicht ewig laufen müssen: fünf bis sechs Stunden wird meistens als Höchstdauer angegeben.

Der Verbrauch liegt bei < 500 g/kWh. Bei einem fünf Liter großen Tank kann man rund 10 kWh in den Akku des Autos pumpen, das entspricht einer Reichweite von rund

  • 66 km

… wenn man 15 kWh/100 km im Schnitt zugrunde legt.  Der Twizy benötigt nur knapp die Hälfte Strom.

Profitipp: Einfach ein solches Gerät für wenige Euro bei einem Anbieter in der Nähe mieten.

Spar-Tipp: Mit einem OVMS oder einem ähnlichen ODB-II-Gerät kann man die Ladeleistung des Twizy sehr stark reduzieren. Das sollte auch bei vielen anderen Elektroautos möglich sein, wenn man das nicht mit Bordmitteln ändern kann, da das OVMS ursprünglich für Tesla-Fahrzeuge entwickelt wurde.

Passende Powerstation

Natürlich kann man auch eine Powerstation mit Akku kaufen. Diese ist jedoch wesentlich teurer, größer und schwerer. Auch die Kapazität ist deutlich geringer. Aber dafür kann man eine solche Powerstation auch primär als Solarspeicher für zu Hause und im Notfall als mobilen Speicher verwenden.

Langsam laden: Anker SOLIX F2000 tragbare Powerstation, 2048 Wh mit 2.300 W AC Ausgang

Schneller laden: Powerstation 3840 Wh, ECO PLAY mit 3.600 W

Die Ladeverluste außer Acht gelassen, kommt man mit der Kapazität aus einem der verlinkten Speicher nicht allzu weit. Bei einem Durchschnittsverbrauch von 15 kW/100 km schafft man aber immerhin

  • 13 Kilometer (2 kWh)
  • 26 km (4 kWh)

Das reicht zumindest bis zur nächsten Ladesäule.

Und wie lade ich ein „richtiges“ E-Auto?

Mit einem Schuko-Adapter, der dem Fahrzeug beiliegt oder als Zubehör gekauft werden kann. Grundsätzlich sollten E-Autos nicht mehr als die genannten 10 Ampere aus einer Haushaltssteckdose ziehen, da Schuko-Steckdosen nicht für eine Dauerbelastung von 16 Ampere ausgelegt sind. Sind Stecker und Steckdose in die Jahre gekommen, verbietet sich das Laden eines E-Autos darüber ohnehin.

Gedankenanstoß: Wollt Ihr einen Wasserkocher stundenlang unbeaufsichtigt laufen lassen? Natürlich nicht! Aber beim E-Auto soll das kein Problem sein?

Stellt Eure Schuko-Adapter auf maximal 10 A ein und nutzt einen der oben genannten Generatoren, oder eine Powerstation.

Wer sein Fahrzeug mit den maximal möglichen 16 Ampere aufladen will, spielt buchstäblich mit dem Feuer. Nicht umsonst hat Renault die Ladeleistung von 2,8 kW (12 A) in den ersten Produktionsmonaten auf 2,3 kW (10 A) reduziert. Die Realität zeigte, dass handelsübliche, seit Jahren in Gebrauch befindliche Außensteckdosen diese Ladeleistungen nicht mehr dauerhaft liefern können, ohne dass sie abbrennen.

Hand aufs Herz: Ich führe bisher nur ein Verlängerungskabel durchs Garagentor. Einmal habe ich beim Abklemmen einen Pol des Twizy-Steckers berührt und war erschrocken, wie heiß der war! Bei „nur“ 10 Ampere!

Über den Autor

Hessi

Hessi

Michael "Hessi" Heßburg ist ein erfahrener Technik-Enthusiast und ehemaliger Informatiker. Seine Website, die er seit über 25 Jahren betreibt, deckt vielfältige Themen ab, darunter Haus & Garten, Hausrenovierung, IT, 3D-Druck, Retrocomputing und Autoreparatur. Zudem behandelt er gesellschaftspolitische Themen wie Datenschutz und Überwachung. Hessi ist seit 20 Jahren freiberuflicher Autor und bietet in seinem Blog fundierte Einblicke und praktische Tipps. Seine Beiträge sind sorgfältig recherchiert und leicht verständlich, um Leser bei ihren Projekten zu unterstützen.

Schreibe einen Kommentar

Ich bin mit der Datenschutzerklärung und der Speicherung meiner eingegebenen Daten einverstanden.