C65, Teil 1: Theorie

Der Commodore 65 war im Jahre 1991 Commodores Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hatte. Dieses Gerät ist symptomatisch für das Missmanagement, das Commodore seit dem Weggang des Firmengründers Jack Tramiel plagte. Der 65er blieb ein Prototyp, der heute nur in wenigen Exemplaren bei Sammlern zu finden ist.


(Commodore C65)

Systemspezifikationen

Ich zitiere aus der Systemspezifikation Commodores für den C65, um zu verdeutlichen, wie bemüht die Existenzberechtigung des C65 bereits intern bei Commodore beschrieben wurde. Mein Fazit darunter ist natürlich von der heutigen Sichtweise geprägt, denn hinterher ist man immer schlauer. Ganz klar, es findet sich darunter auch die eine oder andere „Was-wäre-wenn?“-Vermutung.

Ausgezeichnete grafische Fähigkeiten
„…8-Bit-Mikrocomputer-System mit ausgezeichneten graphischen Fähigkeiten…“

Ja, unbenommen hat es der C65 faustdick hinter den Ohren! 1280 x 400 Bildpunkte bei 4 Farben waren seinerzeit eine klare Ansage. und auch im professionellen Lager nicht selbstverständlich. Aber 8-Bit und hochauflösende Grafik? Das ist ein Widerspruch in sich. Die Grafikfähigkeiten überforderten die CPU, auch wenn der Grafikchip autarke Berechnungen anstellen konnte.

Wir merken: Die Aussage Commodores ist also nicht ganz korrekt.


(C65 im Einsatz)

Wettbewerbsfähig

„…vielseitiges, wettbewerbsfähiges Low-Cost-Produkt, das für den internationalen Homecomputer-und Game-Markt konzipiert ist…“

Wettbewerbsfähig? Schauen wir mal:
Gegen den C64, der weniger als die Hälfte kostete?

Moment! Die Hälte? Ausstattungsbereinigt, also mit Floppy, hätte die Rechnung wieder anders gelautet: 300,- DM für den 64er und nochmal 300,- DM für die 1541 – das macht…
… wow! …exakt den anvisierten Preis des C65! Das passt also! :-)

Aber! Aber! Aber – das gilt ja nur gegen seinen eigentlichen Konkurrenten, den C64.

Irgendwie hatte sich der 64er-Markt eine gemütliche Nische bei Leuten geschaffen, die wohl schon damals ein klein wenig retro waren oder noch einen C64 als Ersatz für ein defektes Gerät kaufen „mussten“. Der 64er ging mehr durch seinen guten Ruf als durch zeitgemäße Leistungen über den ladentisch. Der C65 hätte, ohne wenn und aber, der Nachfolger des C64 werden müssen, Der 100%ig kompatible Nachfolger wohl bemerkt. Eine Konkurrenzsituation gegen den C64 wäre ein Desaster für den Hersteller geworden. Aber die SysSpecs sprechen nur von einer „mäßigen“ oder „angemessenen“ 64er-Kompatibilität.

Und die Leistung? Der C65er hätte dem kleinsten Amiga das Leben arg schwer gemacht. Der A500 war ja genau genommen bereits der designierte Nachfolger der C64 Ja, wirklich! Nur eben von Kunden Gnaden.

Darf ich einen kleinen Autovergleich anstellen? Och, Bitte! Ja? O.k., wir nehmen Audi und Skoda… oder wie wäre es mit Renault und Dacia? Egal wohin man blickt, die großen Hersteller haben alle ein Billigmodell im Programm, welches unter dem Blech annähernd identisch mit der Geldkuh des Unternehmens ist: Passat, und Golf, entsprechen A4, und A3, der Logan dem Clio, usw. Alle haben einen billigen Bruder im Konzern, welcher ihnen aber offenbar nicht das Leben schwer macht. Wäre der C65 nicht der Skoda für Computereinsteiger geworden, wenn man ihm die Chance gegeben hätte? Wäre er ein Computer für die Bastler geworden, die keine grafische Oberfläche mögen?

Der Aussage „wettbewerbsfähiges Low Cost Produkt“ Commodores stimme ich also zu, wenn auch nur im C64-„Nischen“markt, von etwa einer halben Millionen Geräten pro Jahr. (Aber nur unter der Prämisse, dass Commodore auch wirklich den C64 eingestellt hätte – und das wage ich mal ganz entschieden zu bezweifeln)


(Detailaufnahme der Einschaltmeldung)

Aufstiegsrechner
„…ausgezeichnete Aufrüstmöglichkeiten für C64-Besitzer…“

Von der Hardware? Ja, da passte fast alles, bis auf Expansionsportmodule. Die vorhandene Peripherie wie Floppy, Drucker, Joysticks, Monitore, all das konnte man bei Aufstieg auf den 65er behalten.

Von der Software? Uhh! Da reichen die Behauptungen zur Kompatibilität zur 64er-Software von 20% bis zu 60%. Vor allem Spiele, die nachgeladen werden mussten, machten Ärger. Aber alle C65 sind noch Vorserienmodelle und auch die verbauten Chips sollten noch weitere Revisionen durchlaufen, bevor sie in der entgültigen Version von den Bändern bei CSG gefallen wären. Trotzdem machten sehr, sehr viele Spiele Gebrauch von den illegalen Opcodes der C64-Chips und nutzen auch für aufwändige Grafikeffekte genau das Timing der Kompinenten aus. Dies im C65 in Hardware nachzubilden (Software ist zu langsam) wäre eine Sisyphusarbeit, aber vermutlich schlicht unmöglich gewesen.

Der 64er war und ist der meistverkaufte Homecomputer der Welt. Natürlich liegen die Vorteile auf der Hand: Die Leute hatten schon genug Zubehör für den 64er gekauft, die aber auf und mit dem ebenfalls populären Amiga 500 nicht funktionierten.

Commodore wollte die umsteigewilligen C64-Benutzer nicht in das PC-Lager abwandern sehen, also versuchte man ihnen einen Grund zu geben, nur die zentrale Recheneinheit auszutauschen, sich nicht umzugewöhnen müssen und das Geld wieder Commodore in den Rachen zu werfen. Ganz so dumm scheint diese Idee nicht gewesen zu sein: Die Leute kaufen einen C65, nach einer Weile bemerken sie aber, dass die 64er Programme – und vor allem die Peripheriegeräte mit dem langsamen IEC-Bus – der Leistung des 65er nicht gerecht werden. Also wird wieder Zubehör gekauft. Von wem? Von Commodore natürlich!

Mal im Ernst: Wer schliesst denn bitte eine 1541 im nativen 65er Modus an, wenn der Rechner von Hause aus eine moderne 3,5″-Floppy mitbringt? Masochisten?

Trotzdem hatte diese Geschichte bereits mit dem 128er nicht funktioniert, der ebenfalls zum 64er kompatibel war, ihn aber niemals ersetzen konnte. Unverständlich irgendwie. War der 128er zu fett für den Schreibtisch? Zu kompliziert mit seinen drei Modi? Zu inkompatibel? Zu teuer? Schwer zu sagen. Vermutlich war es einfach so, dass die 64er Spiele eben auch auf dem billigen C64 liefen und der Rest für die „Computer“kids uninteressant war.


(Einschaltmeldung: Man beachte „Development System“)

Wo ist das Problem?
Aus heutiger Sicht mag es dem einen oder anderen Leser nicht einleuchten, wieso man einen eigenständigen Computer baut, wenn man die C64-Kompatibilität schlicht über einen Emulator erreichen kann, der einfach auf den damals aktuellen 16-Bit-Maschinen läuft. Ja, natürlich war es ein gewaltiger Sprung von 8 auf 16 Bit in der Leistung. Aber an eine Emulation wie auf heutigen Rechnern war damals bei weitem nicht zu denken. Sind wir mal großzügig und behaupten, dass die CPU im Amiga rund 20x so schnell wie im C64 war. Hey, damit lässt sich doch ein 6510 emulieren, oder?

Sicher, aber in welcher Geschwindigkeit?

Ausserdem haben wir die Rechnung ohne die Kumpel der CPU des 64ers gemacht: VIC-II, SID und die CIAs sind hochspezialisierte Bauteile, deren Funktionen sich nur mit mächtig Rechenpower korrekt emulieren lassen. Die ersten 64er Emulatoren liefen unter DOS auf einem 80486 DX/2 66 so, dass man sich nicht ständig ärgern musste, die Spiele liefen trotzdem nicht so recht flüssig. Heutige Mehrkernboliden schaffen natürlich eine runde Emulation bei sehr hoher Kompatibilität, ohne sich merklich anstrengen zu müssen.

Tja, warum dann nicht schlicht einen C64 in einen Amiga oder einen Commodore PC als Erweiterungskarte bauen, damit man den 64er-Modus auf diese Weise erreicht? Jaaa, das geht heute ganz einfach, indem man die komplette alte Hardware auf einen einzelnen neuen, billigen Chip presst. Das können selbst Hobbyschrauber, wie man am DTV sieht, da befindet sich ein – sogar stark verbesserter – C64 auf einem Chip in einem Joystickgehäuse.

Commodore (MOS/CSG) war aber nicht in der Lage solche komplexen Vorhaben zu stemmen. Sie hatten weder das Geld, noch die Fertigungsstraßen dafür. Der C64 war ein Kind der 70er Jahre. Er war, böse gesagt, ein Sammelsurium aus Halbleitern und sonstigen elektronischen Bauteilen. Das alles auf nur einen, oder zwei Chips zu packen erschien auch in den frühen 90ern als unmöglich. Falls denn jemand überhaupt so einen Gedanken wagte. Die komplexeren Chips für den Amiga wurden schliesslich auch ausser Haus gefertigt.

Aber zurück zum Thema: Die Aussage Commodores, dass der C65 eine gute Aufrüstmöglichkeit für C64-Besitzer war, die bestätige ich einfach mal, wenn auch mit etwas Bauchschmerzen. Ja, das hätte funktionieren können.


(Als Nachfolger geplant: „C64 DX“, später dann C65 genannt)

Marketing-Blah?

Man fragt sich beim durchlesen der internen Systemspezifikation des Commodore C65, ob die ein Marketing-Fuzzi geschrieben hat, und ob der 65er wirklich intern „verkauft“ werden musste. Haben die den zusammengebaut und erst dann den Vorstand gefragt? Oder sollte der Schrieb den Entscheidern einfach nur Mut machen?

Da werden Ahnen wie der C128 oder der VC20 beschworen – und es wird gesagt, dass der C64 ein Erfolg wurde, trotzdem er nicht softwarekompatibel zum VC20 war. Muss man das verstehen? Der C65 sollte doch 64er-kompatibel sein, oder etwa doch nicht so richtig? Es wird die Glaskugel poliert und eine rosa Zukunft für den revitalisierten Einstiegscomputermarkt vorhergesagt, dass man einfach daran glauben möchte.

Soll ich mal mein persönliches Fazit mitteilen? Die hätten die Kiste bauen sollen, schlimmer hätte es doch kaum noch werden können! Und – wer weiss – vielleicht wäre der vermeintliche Sargnagel doch noch zum Rettungsanker mutiert?

ENDE TEIL 1

Über den Autor

Hessi

Hessi

Michael "Hessi" Heßburg ist ein erfahrener Technik-Enthusiast und ehemaliger Informatiker. Seine Website, die er seit über 25 Jahren betreibt, deckt vielfältige Themen ab, darunter Haus & Garten, Hausrenovierung, IT, 3D-Druck, Retrocomputing und Autoreparatur. Zudem behandelt er gesellschaftspolitische Themen wie Datenschutz und Überwachung. Hessi ist seit 20 Jahren freiberuflicher Autor und bietet in seinem Blog fundierte Einblicke und praktische Tipps. Seine Beiträge sind sorgfältig recherchiert und leicht verständlich, um Leser bei ihren Projekten zu unterstützen.

Schreibe einen Kommentar

Ich bin mit der Datenschutzerklärung und der Speicherung meiner eingegebenen Daten einverstanden.