Inhalt:
Ich überlegte lange, ob ich diesen Artikel schreiben sollte, denn er kann auch zur Verbesserung der Fähigkeiten der vom Kreml gesteuerten Bots und Trolle dienen. Aber ich schreibe hier nichts, was nicht auf der Hand liegen würde.
In der aktuellen Lage – Russland marschiert gerade in der Ukraine ein – ist aber eine Aufklärung über die Funktionsweisen der bereits lange vorher angelaufenen russischen Desinformationskampagne((„EU: Die Ukraine-Krise hat zu „Sperrfeuer der Desinformation“ geführt“, Damir Fras, RND.de, 28.01.2022)) nach meinem Dafürhalten wichtiger.
Zudem darf ich annehmen, dass auch der Kreml nicht untätig ist und sich der Schwächen seines Systems((„Zwölf Stunden am Tag in Putins Sinne“, Felix-Emeric Tota, 19.03.2015, FAZ.net)) sehr wohl bewusst ist. In den ersten Wochen des Krieges haben sich nach meinen Beobachtungen die Bots allerdings auch etwas gewandelt. Sie treten selektiver auf und haben bereits einige Kommentarbereiche komplett aufgegeben, in denen sie nichts reißen konnten. Subjektiv betrachtet scheinen sie auch aggressiver geworden zu sein. Trotzige Russlandverherrlichung und offene Drohungen nach den ersten Widerworten nehmen zu. Eventuell zeigen die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland auch Wirkung und stürzen die Troll-Armee in eine erneute Krise((Google-Translate: „Schwierigkeiten eines PR-Managers“, Elizaveta Surnacheva, kommersant.ru, 27.04.2015))?
Hauptquartier der Kreml-Bots
Wo sitzen die Kreml-Bots eigentlich? Haben die wirklich ein Hauptquartier? Ja, haben sie! Es ist ein Trollhaus((„Russische Aktivistin zerrt Internet-Trolle an die Öffentlichkeit“, Euronews.de, 18.08.2015)). in St. Petersburg. Dort kann man als normaler Angestellter arbeiten((„Wo leben Trolle? Wie Internet-Provokateure in St. Petersburg arbeiten und wer sie betreibt“, Alexandra Garmazhapova, Novaya Gazeta, 09.09 2013)).
Bot oder Troll?
In der bisherigen Diskussion verschwimmen die Grenzen zwischen Bots und Trollen zunehmend. Als Beobachter ist es auch schwierig zu definieren, ob ein Beitrag von einem Bot((„Wie digitale Dreckschleudern Meinung machen“, Melanie Amann, Horand Knaup, Ann-Katrin Müller, Marcel Rosenbach und Wolf Wiedmann-Schmidt, Spiegel.de, 24.10.2016)) oder von einem Troll verfasst wurde. Vermutlich ist es tatsächlich eine Mischung aus beidem: Trolle werden beim Formulieren von Texten von künstlicher Intelligenz (Bots) unterstützt, da Bots leichter erkannt werden können.
Sockenpuppen?
Eine Sockenpuppe((„Sockenpuppe (Netzkultur), Wikipedia.de, abgerufen 11.04.2022)) ist gewissermaßen ein „Troll Deluxe“, ein über Jahre aufwendig erarbeitetes Troll-Profil mit echten Followern und handgeschriebenen Texten. Hier zählt Klasse statt Masse. Die Operatoren der Sockenpuppe sind der deutschen Sprache in der Regel deutlich mächtiger. Trolle, Bots und Sockenpuppen führen auch gerne miteinander Schein-Diskussionen, um eine Mehrheitsmeinung zu fingieren oder echte User von mehreren Seiten aus zu diskreditieren („Der schreibt das doch immer!“, „Ja, das ist ein NATO-Bot!“)
Wo treten diese Trolle auf?
Seit ca. 2014, mit der Annexion((„Putin erklärt nach Annexion: „Die Krim gehört zu Russland“, Archivradio, SWR, 18.03.2014)) der Krim durch Russland, erhöhten sich in den Kommentarsektionen der deutschen Medien die prorussischen Kommentare enorm. Legendär war seinerzeit das Forum von Spiegel.de (damals noch Spiegel Online, SpOn), das zeitweise kaum mehr zu lesen war. Man bekam vom Kopfschütteln bereits ein Schleudertrauma, in so schlechtem Deutsch waren diese Beiträge verfasst. Von den Inhalten fange ich erst gar nicht an.
Die Troll-Armee übertrieb dort massiv. Zeitweise mussten die Kommentare sogar auf manuelle Prüfung gestellt werden, was eine vernünftige Diskussion unter den echten Diskutanten sehr erschwerte. Aber auch das war ein Ziel dieser Trolle: Echte Diskussionen behindern.
Der Spiegel hat seitdem viel getan und unter anderem mittels automatischer Filter einiges in den Griff bekommen. Teilweise werden aber Beiträge immer noch false-positiv getaggt und nicht veröffentlicht. Troll-Postings, die mit der Hand statt mit den bekannten Textbausteinen oder einer der sonst üblichen Anzahl von prorussischen Schlagworten pro Posting verfasst wurden, kommen aber immer noch anstandslos durch.
Zeitgleich wurden auch die Kommentarbereiche der großen deutschen Zeitungen ins Visier genommen, aber im weit geringerem Maße. Man erhoffte sich in der Leserschaft der Foren des Spiegels einfach einen fruchtbareren Boden, galt der Spiegel doch lange Zeit eher als (regierungs-) kritisch und investigativ.
Twitter und Facebook (mittlerweile eher „Rentnerbook“) waren meines Wissens nach die nächsten großen Stationen der Desinformationskampagne. Hier wurden bevorzugt die Seiten der Nachrichtenportale angegriffen. Ja, ich bin überzeugt, dass man von Angriffen sprechen kann. Angriffen auf unsere gesellschaftliche Grundordnung und Demokratie.
Ziele
Teile und herrsche
Das Hauptziel der russischen Bots und Trolle ist die Spaltung((„Zu Beginn der Coronakrise haben wir fast abstruse Falschmeldungen gesehen“, Lutz Güllner, Frederick Rother, Deutschlandfunk, 25.03.2021)) unserer Gesellschaft und Europas, damit man seine geopolitischen Ziele, wie den Überfall auf Nachbarländer, mit geringerem Widerstand durchführen kann. Sie wollen, dass die Politik das Zerrbild aus den Netzwerken als bare Münze ansieht. Tatsächlich haben sich Politiker und Medien dadurch beeinflussen lassen.
Dafür versuchen sie ein Bild in den sozialen Netzwerken und den öffentlichen Kommentarspalten vom unzufriedenen Bürger zu malen. Das spricht gesellschaftlich abgehängte Teile der Gesellschaft an, die Russland nahestehende rechtsliberale Parteien wie die AfD wählen sollen. In den USA hat diese Vorgehensweise wunderbar funktioniert. Trump war ungebildet und dumm genug zu glauben, dass er aus eigener Kraft Präsident wurde. Leider hörten die Kreml-Bots in den USA auch nach dem Wahlkampf nicht auf, ihre Hetzte zu verbreiten und die amerikanische Gesellschaft weiter zu spalten, was im Sturm auf das Capitol mündete.
Eine kleine Minderheit wird radikalisiert, die Bots machen massiv Stimmung in den asozialen Hetzwerken und gaukeln eine nicht vorhandene Mehrheit von Unzufriedenen vor. Mit diesem nicht vorhandenen Massen im Rücken stürmten die Spinner das Capitol. Und das war es auch schon. Ende. Keine Revolution, kein Umsturz. Warum? Weil es in der amerikanischen Gesellschaft dafür keine Mehrheit gab. Nicht mal eine nennenswerte Menge unzufriedener Menschen.
Das versuchen die Russen seit Jahren auch bei uns. Klappt nur nicht so recht in einem Land, deren Bevölkerung für die Revolution eine Bahnsteigkarte kaufen will und das die Regierung im Allgemeinen nicht als Gegner sieht. Die Amerikaner misstrauen ihrer Regierung hingegen traditionell.
Allerdings birgt auch die Flutung der Kommentarbereiche die Gefahr, dass die Politik dieses falsche Bild der Stimmung in der Bevölkerung ernst nimmt und ihre Politik darauf ausrichtet. Dieses Zerrbild wird für einen Politiker noch bestätigt, wenn er auf kleineren lokalen Parteiveranstaltungen mit Boomern zu tun hat, die primäres und willfähriges Ziel der Bot-Armeen sind. In diesem Falle steuern Troll-Armeen tatsächlich die Politik. Wer daran zweifelt, der sollte einmal eine lokale Veranstaltung einer beliebigen Partei besuchen und auf die Wortbeiträge älterer Personen achten.
Bestätigung der russischen Propaganda
Weiterhin bestätigt((„Wie die russische Propagandamaschine die Lügen weiterspinnt“, RND/AP, 12.03.2022, RND.de)) die Troll-Armee die Lügen der russischen Regierung, was für Menschen mit geringer Medienkompetenz ein in sich stimmiges, glaubwürdiges Bild eines sich nur verteidigendes Russlands ergibt.
Zur Bestätigung der Propaganda steht im Lastenheft der Bots, anderen eine Russenphobie und Feindseligkeit zu unterstellen((„Wo leben Trolle? Wie Internet-Provokateure in St. Petersburg arbeiten und wer sie betreibt“, Alexandra Garmazhapova, Novaya Gazeta, 09.09 2013)). Wenn man persönlich so angegriffen wird, reagiert man meistens eher auf den Angriff, als auf die darauffolgende Propaganda. Das ist nur menschlich.
Erfolge
Einer der sichtbaren Erfolge der russischen Propaganda sind die Autokonvois((„Autokorso von Putin-Fans in Berlin: Warum Deutschland sie nicht verbieten kann“, Sven Christian Schulz und Hannah Scheiwe, RND.de, 05.04.2022)) für den „Frieden“. *sic* Hier vermischen sich echte russlandstämmige Bürger mit den üblichen „besorgten Bürgern“, die nun lieber Autofahren, statt spazieren zu gehen. Ein Autokonvoi gaukelt durch den ver(w)endeten Platz mehr Teilnehmer vor, als es tatsächlich sind. Das freut vorwiegend die russischen Medien, die über die Unterstützung deutscher Bürger berichten können.
Die zahlenmäßig mittlerweile überlegen angetretenen((„Hunderte bei pro-russischen Demonstrationen“, epd, dpa, ZDF, 10.04.2022, ZDF.de)) Gegendemonstranten kommen zu Fuß und wirken gegen die Masse von Fahrzeugen in der Minderheit.
Die Busunternehmer((„Wer fährt die „Querdenker“ durchs Land? Jetzt eskaliert der bizarre Bus-Streit“, Jan Klauth, Welt.de, 11.02.2020)) , die bislang die „Sparziergänger“ bundesweit einsammelten und zu den Demonstrationen karrten, schauen leider in die Röhre. :-)
Gründe für den Erfolg
Leider hat die Kampagne in einigen Bevölkerungsteilen – die sich als „aufgeklärt“ und „freidenkend“ betrachten, es aber im Gegenteil nicht sind – funktioniert. Siehe meinen Beitrag zu den „Sparziergängern“.
Die Gründe liegen in der fehlenden digitalen Schulbildung((„Der Digitalpakt als Chance? Was in den Schulen geschehen muss, damit aus Hardware Medienkompetenz entsteht!“, Priscila Berger und Jens Wolling)), die, wenn sie denn existiert, die Kinder nur in MS Office weiterbildet, nicht aber in Medienkompetenz. Das überlässt man meinen eigenen Erfahrungen nach Rentnern und Pensionären, die zu Informationsveranstaltungen über das Internet, das Finanz- oder das Versicherungswesen eingeladen werden. Die letzteren beiden Bereiche werden nicht immer ganz objektiv vorgetragen, was auf der Hand liegt.
Gerade bei Internetthemen glauben die Späteinsteiger (die Kinder sind eben keine((„Bitte verzichtet auf den Begriff »digital natives«!“, Philippe Wampfler, Schule Social Media, 12.08.2014)) „Digital Natives“!) diesen ‚alten Leuten‘ kein Wort. Sie tippen während der Veranstaltung auf ihren Smartphones herum, verstehen dabei aber nicht im Ansatz, wie diese Blackbox, das WWW oder gar das Internet überhaupt im Grundprinzip funktionieren.
Ein gefundenes Fressen für die Russen-Bots! Diese haben seit dem Überfall auf die Ukraine verstärkt bei YouTube((„Die Armee der Trolle“, Patrick Gensing, tagesschau.de, 23.03.2022)) Fuß gefasst. Die schlechten Deutschkenntnisse fallen dort überhaupt nicht auf, denn etwa 85 Prozent (Achtung, Polemik!) der User beherrschen die deutsche Sprache sowieso nur unzureichend. Wer auf Influencer kritiklos hereinfällt, dem kann man auch mit Kommentaren einen russischen Bären aufbinden.
YouTube hat aktuell nicht einmal eine passende Auswahl für politische Desinformation in der Meldefunktion für Kommentare. Im Gegensatz zum Spiegel ist der weltweit größte Datensammler, Alphabet, offenbar komplett hilflos, was das Filtern von Kommentaren angeht. Die haben selbst den wirklich üblen und auffälligen Sex-Spam nicht unter Kontrolle, geschweige denn politische Desinformationskampagnen.
Dafür haben viele Nutzer Probleme, ganz normale Kommentare zu verfassen((„Fix: YouTube-Kommentar konnte nicht gepostet werden“, kein Autor, OkiDK, abrufen am 11.04.2022)). Oft fühlen sie sich zensiert und beschuldigen den Kanalinhaber der Zensur und des Mobbings. Dies bestärkt sie in der falschen Meinung, dass in den „westlichen Medien“ Zensur vorherrscht. Ein unglaublicher Fail von YouTube, respektive dessen Betreibers Alphabet.
Textbausteine
Ich schaue mir gerade viele Russen-Bots an, die auf News-Kanälen, auf sozialen Netzwerken, in den Kommentaren schreiben. Einige sind richtig gut, andere grottenschlecht – und manchmal merkt man den Schichtwechsel, wenn ein neuer Operator den Troll übernimmt. Dann ändert sich die Rechtschreibung zwischen den Antworten urplötzlich. Das Büro hat von 08:00 bis 22.00 Uhr geöffnet. Die Arbeitszeiten der Sockenpuppenspieler gehen von 8.00 bis 16.00, von 10.30 bis 18.30 und von 14.00 bis 22.00 Uhr, wie die Novaya Gazeta berichtete((„Wo leben Trolle? Wie Internet-Provokateure in St. Petersburg arbeiten und wer sie betreibt“, Alexandra Garmazhapova, Novaya Gazeta, 09.09 2013)).
Textbausteine enthalten regelmäßig die Schlagworte((„Wo leben Trolle? Wie Internet-Provokateure in St. Petersburg arbeiten und wer sie betreibt“, Alexandra Garmazhapova, Novaya Gazeta, 09.09 2013)) NATO, EU, G-20, CIA und USA. Man darf keinesfalls mit solchen Schlagworten antworten, sonst drehen sich die Diskussionen im Kreis. Durchbricht der reale Diskutant diese „Argumentationskette“ des Bots, indem er die Grundlogik der Aussagen anzweifelt, wird das Thema sofort fallen gelassen und mit einem anderen Narrativ geantwortet.
In dem Fall scheint oftmals ein erfahrenerer Operator übernehmen zu müssen, denn dann ändert sich wieder der Satzbau und die Rechtschreibung. Man muss da auf die Details achten. Das ist wie ein sprachlicher Fingerabdruck.
Auffälligkeiten
Sehr auffällig ist auch ein dauernder Wechsel zwischen Sie und Du im selben Posting, da die Textgeneratoren und Übersetzungstools, wie DeepL, im russischen Probleme mit informeller und formeller Sprache haben, obwohl es die beiden meines Wissens in der russischen Sprache gibt.
Die Textbausteine sind mittlerweile erstaunlich gut geworden, manchmal bin ich nicht sicher, ob die nicht mit einer KI zusammengestellt wurden, die die Postings liest und dann daraufhin automatisch eine Antwort generiert, die ein Operator noch kurz überarbeitet.
Wenn ein Sockenpuppen-Operator aufgibt, wird meistens etwas aus der letzten Antwort genommen, zitiert und mit einem Haufen Lachsmilies versehen. Aber gut, das machen auch AfD-Wähler so, wenn ihnen die Argumente ausgehen.
Beispiele für durch eine KI generierte Texte
Siehe Dir dazu meinen Artikel über Digitale Ghostwriter.
Überprüfung
Man sollte auch die Mailbenachrichtigung der sozialen Netzwerke aktivieren, die einem oft den Text der Antwort mitsenden. Ich beobachtete mehrfach, dass die per Mail gesendeten Antworten andere waren, als ich später im Netzwerk lesen konnte. Man wird namentlich mit einer Aussage erwähnt, die nicht einmal im Ansatz zum Thema passt und auch keinerlei Sinn ergibt. In dem Fall ist der überlastete Troll vermutlich bei den Textbausteinen mausgerutscht und bemerkte erst später seinen Fehler. In Facebook kann man, wenn man Glück hat und die Antwort nur bearbeitet statt gelöscht wurde, über die Funktion „Bearbeitet“ das originale Posting lesen.
Verschleierung
Es gibt Paraphrasier-Online-Tools, in denen man Texte eingeben kann und die daraus einen (oder mehrere) neuen Text generieren.
Im Prinzip schiebt man auf der einen Seite eine Dissertation hinein und auf der anderen Seite kommt diese wieder heraus – nur komplett umformuliert.
So arbeiten viele kleine Newsportale, die nur wenige Mitarbeiter haben, damit sie keine Urheberrechtsverletzungen begehen:
Man lässt die Meldung eines großen Portals automatisch umformulieren und veröffentlicht sie dann als eigenen Artikel.
Das klappt erstaunlich gut, aber auch nicht immer ganz fehlerfrei.
Beispiel gefällig?
"Es gibt Online-Interpretationstools, in die Sie Text eingeben und daraus einen (oder mehrere) neuen Text erstellen können. Sie fügen im Grunde einen Aufsatz auf der einen Seite ein und er erscheint auf der anderen - nur komplett redigiert. So arbeiten viele kleine Portale mit nur einer Handvoll Mitarbeitern, um Piraterie zu vermeiden: Große Portalanzeigen werden automatisch umformatiert und dann in einem eigenen Artikel veröffentlicht. Das funktioniert überraschend gut, aber nicht immer fehlerfrei."
Na? Das klingt doch in etwa so holprig und gestelzt, wie man das aus den Kommentaren der Russen-Bots kennt, oder? Aber wir sind uns einig, dass der Sinn derselbe geblieben ist, nicht wahr?
Hufeisen-Theorie
Nicht nur Sahra Wagenknecht((„Wagenknecht gesteht Irrtum ein – „In Einschätzung von Putins Person leider geirrt“, Luisa Hofmeier, Die Welt, 25.02.2022)) (Die Linke) und Eugen Schmidt((„Putins Propagandist im Bundestag“, Sascha Adamek, Andrea Becker und Silvio Duwe, Kontraste, RBB, 10.03.2022)) (AfD) sind große Putinversteher((„Putinversteher“, Wikipedia.de, abgerufen: 11.04.2022)) . Wir finden folglich in den Kommentarbereichen auch echte Menschen aus den extremen linken und rechtem Spektrum, nicht nur Bots. Diese Leute glauben, dass alle anderen außer Ihnen selbst Faschisten sind.
Die Linken, weil sie schließlich links sind und nicht erkennen wollen, dass in Russland längst Faschisten an der Macht sind. Die Rechten, weil sie sich verfolgt fühlen und Meinungsfreiheit mit Widerspruchsfreiheit verwechseln.
Beide verfolgen dieselben Ziele: Unterdrückung Andersdenkender mit Gewalt und Kontrolle über die Medien. Der einzige Unterschied ist: Die einen wollen alles verstaatlichen, die anderen alles privatisieren.
Arten von Kremlbots
Der Putinversteher
„Putin will keinen Krieg, er hatte nur keine andere Wahl, um die russische Minderheit in der Ukraine vor Nazis zu retten„. Vor jüdischen Nazis! Klar, Putin kämpft gegen Nazis. Klingt edel. Aber Moment! Finanziert((„Einflussreich gegen Europa“, Petra Blum, Sebastian Pittelkow, Katja Riedel und Sarah Wippermann (WDR/NDR), tagesschau.de, 24.03.2022)) er nicht die AfD und ist nicht auch „Der dritte Weg„((„DER DRITTE WEG (Der III. Weg)“, Baden-Würtenberg Landesamt für Verfassungsschutz)) eng mit dem Regiment Asov verbunden((„Neonazis aus der Schweiz und Deutschland unterstützen Kämpfer in der Ukraine“, Erich Aschwanden, nzz.de, 25.02.2022))? Wenn das keine durch den Verfassungsschutz beobachtete Nazis((„Bundesamt für Verfassungsschutz obsiegt vor Verwaltungsgericht Köln gegen die AfD“, Bundesamt für Verfassungsschutz, abgerufen: 11.04.2022)) sind, dann weiß ich es nicht.
Der Putinversteher bemüht geschichtliche Vergleiche, die so hinken, dass man schon Mitleid bekommen könnte. Das Baltikum als historischer Teil Russlands ist ein übliches Narrativ. Okay, sprechen wir dann mal über Königsberg. Was? Darf man nicht ansprechen? Dann ist man ein Nazi? Ah! Ich verstehe! Deutsche Nazis sind böse, russische Nazis, wie Putin, sind die guten Nazis. Weil die ja gegen Nazis sind. Nur nicht gegen sich selbst.
Der Westen ist schuld
Die NATO ist schuld! Ganz klar und logisch. Putin ist in der Ukraine einmarschiert und tötet Zivilisten, weil die NATO ihn nicht mit Respekt behandelt und seine Gefühle verletzt hat. Das sehen tatsächlich auch viele Russen so. Wie sagte mein verstorbener Stiefvater einmal zu mir: „Michael, halte Dich von den Russen fern, bei denen zählt ein Menschenleben nichts!„. Da hatte er leider recht. Im Kreml hat also die Fraktion „Was guggst Du? Ich mach Dich tot!“ das Ruder in der Hand. Danke, lieber Der-Westen-ist-schuld-Bot für diese Klarstellung.
Wer sich fragt, ob man als vorgeblich zivilisierter Westler hier vielleicht übertreibt, der sollte sich mal Russen-Cam-Videos ansehen. Einfach mal wirken lassen, die Mischung aus übersteigerten Selbstwertgefühl und Alkoholmissbrauch. Ja, ist klar, die netten Verkehrsteilnehmer werden nicht gezeigt. Aber die schiere Masse gibt zu denken. Warum haben eigentlich die Russen seit Jahren immer Dashcams in ihren Fahrzeugen? Aus Selbstschutz vor der Polizei. Warum ich diesen lächerlichen Dash-Cam-Vergleich überhaupt erwähne? Weil ich den Eindruck habe, dass Putin seine betrunkene Armee in einem alten Lada mit 120 im Berufsverkehr durch eine Stadt rasen lässt, sich dabei im Recht fühlt, alle Platz machen müssen, wir aber wissen, dass das nicht gut für ihn enden wird. Er wird auf seinem Egotrip sehr vielen Unschuldigen Leid zufügen.
Aber auch ich bin ein NATO-Bot. Wusstet Ihr nicht? Die NATO würde Bots in den sozialen Medien einsetzen. Warum sollte sie das tun? Sinn würde das nur in russischen sozialen Hetzwerken (wie vk.com) ergeben, aber nicht bei uns. Bots sollen immer das System des anderen unterminieren.Trotzdem bin ich ein NATO-Bot. Oder ein Schlafschaf, das der amerikanischen Propaganda glaubt.
Der „Zweifler“
Er ist grundsätzlich gegen den Krieg … äh … na ja, so genau sagt er das nicht. Das Wort Krieg benutzt auch er meistens nicht. Er zweifelt die Medien an *sic*, so weit, so alt. Ohne konkret zu werden, fragt er immer ganz naiv, ob hinter dem heimtückischen Angriff nicht noch etwas anderes stecken könnte. Gibt man ihm Kontra, mutiert er schnell zum Der-Westen-Ist-Schuld-Typ, oder es springt ihm bald solch ein Bot zur Seite.
Der Brunnenvergifter
Malt eine Bedrohungslage auf. Die deutsche Bevölkerung würde die Geflüchteten aus der Ukraine bedrohen. Deswegen dürfe man nicht erzählen, wenn man Flüchtlingen hilft, sonst würde man selbst auch bedroht werden. Indes wird oft behauptet, dass die ukrainischen Flüchtlinge mit ihren Haustieren nicht „wie Flüchtlinge aussehen würden“. Wir resümieren: Beide Aussagen kommen aus dem gleichen, rechtsgerichteten und demokratiefeindlichen, Lager.
Der Echte
Dann gibt es noch die echten User. In der Regel AfD-Wähler. Kommt nur raus, wenn er glaubt, dass er Rückendeckung durch die Bots und Sockenpuppen aus Russland hat. Hetzt dann wieder gegen die EU (die an allem die Schuld trägt, aber auch wirklich an allem), gegen Gutmenschen (witzig, er ist doch selbst ein Putin-Gutmensch), gegen „Genderwahn“, die Rundfunktgebührenabgabe und unsere „korrupten Politiker“.
Mir ist ein wenig unklar, warum Boomer, die den Kalten Krieg miterlebten, die substanzlose Kremll-Hetze wiederholen, die ganz durchsichtig als einziges Ziel die Zersetzung unserer deutschen, gesellschaftlichen Grundordnung und der Europäischen Gemeinschaft zum Ziel hat.
BTW: Die Russen, die Chinesen und die USA sind natürlich allesamt nicht daran interessiert, dass sich Europa zu einer Weltmacht erhebt und eigene Interessen vertritt.
Was „der Echte“ von seiner Hetze hat? Ja, nichts, aber über „Geheimwissen“ zu verfügen und einfach nur „dagegen“ zu sein, das hebt das Selbstwertgefühl.
Der Zensierte
Eine Unterart des Echten. Er fühlt sich verfolgt und zensiert, weil seine zusammengestammelten, „kritischen“ Sätze nicht als Kommentar unter Videos in YouTube erscheinen. Nun, das Problem ist seit über einem Jahr bekannt und wir Kanalbetreiber können uns immer wieder den Vorwurf von Zensur anhören, wenn jemand seine Jauche nicht unter unseren Videos auskippen kann, weil der YT-Antispam-Algorithmus solche Kommentare nicht zulässt. Das passiert sogar bei ganz normalen Kommentaren zu einem Video, die keine mehrdeutigen Wörter oder gar Links enthalten. Manches wird durch YoutTube einfach nicht durchgelassen. Im Gegensatz zu den Beiträgen der Sex-Bots – aber hier weiß man auch nicht, wie viele solcher Postings auf die Kommentarspalten von YouTube sekündlich einprasseln.
Der echte Troll
Trittbrettfahrer, die es lustig finden, wenn sie Ding wie: „Wir sehen uns in Berlin!“, „Ihr werdet nicht mehr lachen, wenn wir in Berlin Wodka trinken!“ oder „Unsere tschetschenischen Truppen werden Eure Bundeswehr vernichten!“. Okay, hier kann ich nur mutmaßen, dass das deutsche Trolle sind, denn russische Trolle würden nichts schreiben, das den Widerstand in der deutschen Bevölkerung wecken würde, oder doch? Mit Widerstand haben die Russen schon in der Ukraine genug zu kämpfen. Die dachten ernsthaft, dass ein Volk, dass sich seine Demokratie selbst erkämpft hat, freudestrahlend in eine defekte Demokratie wechseln würde, deren Gesellschaft von Oligarchen ausgeblutet wird und an dessen Spitze ein größenwahnsinniger Despot sitzt, der auf Lebenszeit im Amt bleibt.
Gegenwehr
Normalerweise sollte man Trolle ignorieren. „Do not feed the troll!“ ist seit vielen Jahrzehnten die Devise. Nur fluten die Trolle dann die Kommentarbereiche mit Propaganda, die gerade bei Boomern und Jugendlichen – die nicht gerade mit Medienkompetenz glänzen – auf fruchtbaren Boden trifft. Warum also doch Gegenwehr? Weil man diese Hetze nicht im Netz stehen lassen sollte. Dieses Gift greift unsere Gesellschaft an.
„Diskutiere niemals mit Trollen, sie ziehen Dich auf ihr Niveau herab und schlagen Dich mit Erfahrung.“ – der originale Spruch meint zwar „Idioten“, aber es passt mit „Trollen“ auch hervorragend. Hier geht es folglich nicht um Diskussion, sondern um Reaktion. Wir müssen der Zielgruppe der Bots eine klare, demokratische Kante zeigen.
Aber wie reagiert man am besten? Nicht auf eine Diskussion einlassen, die auf deren wirren Thesen basiert. Man merkt doch meistens direkt, worauf das hinauslaufen soll und was die unausgesprochene Grundannahme ist.
Direkt die Wurzel, die falschen Grundannahmen und die falsche Logik angehen!
Beispiele
„Putin befreit nur den Donbass, der schon immer zu Russland gehört und in dem die russische Minderheit verfolgt wird!“
Warum steht Putin dann vor Kiew und warum hat er das Land nicht längst besetzen können, wenn er nur „befreit“?
„Die NATO trägt Mitschuld!“
Die NATO ist in der Ukraine einmarschiert und begeht Kriegsverbrechen?
„Unsere Medien zeichnen ein Zerrbild und verfolgen eine Agenda! Andere Meinungen werden zensiert!“
Unsere Medien dürfen wenigstens einen Angriffskrieg auch Angriffskrieg nennen. Woher haben die eigentlich Ihre Informationen, wenn der Westen doch Medien und das Internet zensiert. Und warum will Russland ein Russnet, wenn es nicht zensiert und zensieren will?
„Die USA / Ukraine trainiert rechtsextreme Kämpfer!“
Was jetzt? Die rechtsextremen USA / Ukraine? Oder die verweichlichten Homo-Versteher USA / Ukraine?
„Putin ist ein Antifaschist!“
„Putin kämpft gegen die Nazis in der Ukraine!“
„Russland kämpft traditionell gegen den Faschismus!“
Die Russen sind antifaschistisch? Sie verfolgen aber die Errichtung eines reinrassig Großrussischen Reiches und verfolgen Homosexuelle und Andersdenkende? Moment … machen dies Faschisten nicht ebenfalls?
Was Putin und seine Anhänger wollen ist das, was Hitler und seine Anhänger ebenfalls wollen. Nur eben auf Russisch.
Und wieso unterstützt der Antifaschist Putin dann die Neue Rechte in Europa massiv finanziell? Sieht so antifaschistisches Handeln aus?
„Würde bei uns das russische Gas abgestellt werden, würden wir im Chaos versinken!“
Man muss bereit sein, für die Freiheit Europas auch ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen. Wir sollten Putin dankbar sein, dass er die Energiewende vorantreibt und Europa vereinigt. In wenigen Jahren werden wir nicht mehr von Russland als Energielieferant abhängig sein.
„Schau Dir das Video aus diesem Link an!“
Nein, das machst Du nicht, denn das füttert den YouTube-Algorithmus, der dieses Video bei vielen Aufrufen für relevant hält und des automatisch anderen vorschlägt.
„Putin ist zu weich! Er muss härter durchgreifen und die Ukraine und weitere Feindesländer besetzen!“
Das ist der Offenbarungseid eines Trolls. Darauf muss man nicht eingehen. Damit diskreditiert sich der Troll selbst.
„Russland ist das Opfer!“, „Ihr seid Russenfeindlich!“
Tatsächlich eines der Hauptziele der russischen Troll-Armee. Das „Opfer“ überfällt ein Nachbarland, ist absolut nachvollziehbar((Hitler, Deutschland, 1939)).