Vom Arpanet zur NetzneutralitÀt

Ich war schon immer jemand, dem das Hier & Heute nicht fortschrittlich genug ist. Insofern verteufele ich die digitalen Medien oder die digitale Technik keinesfalls. Auch wenn ich die spĂ€ten 1970er und frĂŒhen 1980er Jahre, in denen die „Computerisierung“ gerade erst Fahrt aufnahm, wirklich geliebt habe, so wĂ€re es mein Horror, wĂŒrde ich morgen frĂŒh (wieder) in dieser Zeit aufwachen: Abgeschnitten von entfernten Freunden und Verwandten, abgeschnitten von Nachrichten in Echtzeit. Und ich gestehe: Ja, auch abgeschnitten von Google und Wikipedia! SelbstverstĂ€ndlich ersetzen diese Seiten nicht eigenes Denken, aber sie ermöglichen es den Menschen Informationen zu finden und Wissen zu teilen.

ARPANET
Vergleichen wir doch einmal kurz das Damals mit dem Heute: Das Internet, frĂŒher ARPANET, gibt es schon seit 1968 und es wurde vorrangig fĂŒr Dienste wie Email oder das Usenet benutzt. Es diente zum Informationsaustausch an den UniversitĂ€ten, war also nur einen relativ kleinen Personenkreis zugĂ€nglich. Diese Personen mussten zudem die gewĂŒnschten Informationen mĂŒhsam suchen. Die RealitĂ€t sah so aus: Welcher News-Server hielt die gesuchte Info in welcher Gruppe und welchem Posting vorrĂ€tig? Es gab keinen Index, keine Suchfunktion, keine Verlinkungen.

BBS
Privaten Nutzern ohne Zugang zum einem der NetzzugĂ€nge der UniversitĂ€ten blieb nur das Betreiben und die Nutzung von sogenannten Mailboxen (BBS, Bulletin Board System) ĂŒber das Fernsprechnetz. Hier tauschte man sich Ă€hnlich wie im Usenet aus. Jeder konnte eine Mailbox betreiben, aber die Nutzer mussten zumindest die Telefonnummer kennen, unter der sie erreichbar war. FĂŒr die unbeschrĂ€nkte Nutzung von Mailboxen war der Betreiber meistens gezwungen, Geld zu verlangen, denn er hatte oft gleich mehrere teure Telefonleitungen von der Post angemietet. Informationen wurden in Usenet und den Mailboxen meist in reiner Textform ausgetauscht. Oft wurde die Verbindung ĂŒber einen Akkustichkoppler hergestellt. Die Geschwindigkeit lag bei maximal 30 Zeichen in der Sekunde. Der Text erschien damals tatsĂ€chlich so langsam auf dem Schirm, wie das alte Filme darstellen.

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Telecoupler
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Akustikkoppler von Radio Shack

BTX
In den 1980er Jahren schuf die Telekom dann den Bildschirmtext, kurz BTX. Den darf man nicht mit dem heute noch existierenden Videotext auf dem Fernseher verwechseln, auch wenn er grafisch sehr Ă€hnlich war. BTX war ein teurer Spaß. Man benötigte ein Modem mit Decoder oder gleich ein ganzes BTX-Terminal mit Tastatur und Bildschirm. Es gab aber auch Modems fĂŒr den IBM-PC und andere Computersysteme. Die GrundgebĂŒhr alleine fĂŒr BTX betrug 55 Mark im Monat und fast jede Seite kostete beim Aufruf weiteres Geld. Es gab praktisch nur kommerzielle Anbieter. BTX war wirtschaftlich ein Flop – aber auch der Großvater von T-Online.

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BTX-Terminal der Telekom

WWW
Tim Berners-Lee entwickelte am CERN in Genf das WWW, welches heute fĂ€lschlicher Weise viele Menschen mit dem Internet gleichsetzen. Das World Wide Web ermöglichte ab 1991 erstmals eine Verlinkung von Informationen (Webseiten) untereinander. Die ebenfalls von Berners-Lee entwickelte Seitenbeschreibungssprache HTTP erlaubte eine formatierte Darstellung des Textes, das Einbinden von Bildern, Audio und Video. Das World Wide Web ist im Grundsatz demokratisch, freiheitlich und neutral – es gibt jedem eine Stimme. Jeder konnte nun seine eigene Seite erstellen, wenn er bereit war, die Sprache HTML zu lernen. Ob der Webserver nun bei einem sog. Hoster oder sogar zu Hause steht ist dabei prinzipiell egal.

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Erster Webserver der Welt (Replik)

FrĂŒhzeit des WWW
Anfangs versuchten Internetzugangsanbieter wie AOL, Compuserve, Germanynet oder die Telekom, die Nutzer aus KostengrĂŒnden in ihrem eigenen kleinen Mikrokosmos, auf der eigenen Website zu halten. Dieses Konzept nennt man auch „Walled Garden“. Die Internetnutzung war damals teuer, langsam und lief meistens ĂŒber die Telefonleitung. Wollte man (meist „frau“) telefonieren, musste man(n) offline gehen. Die Modems schafften maximal 56 KBit/sec.

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Notebook mit Internet Explorer

Suchmaschinen
Um eine Information im World Wide Web zu finden, klickte man sich frĂŒher oft von einer Website zu anderen. Es gab Linklisten und Webrings mit denen sich Webseiten gleicher Themengebiete untereinander verlinkten. Das Web wuchs rasant, die Zahl der Seiten nahm zu. Suchmaschinen mussten her. Abacho, AltaVista, Excite, Fireball oder Yahoo – kennt (und nutzt!) heute kaum noch jemand. SpĂ€testens seit den dem Jahr 2004 liefert Google konkurrenzlos gute Suchergebnisse und ist MarkfĂŒhrer unter den Suchmaschinen.

Web 2.0
Anfang der 2000er Jahre kam das Web 2.0 auf. Eigentlich bedeutet das nichts anderes, als dass dem Nutzer das Erlernen von HTML abgenommen wurde und er statt einer eigenen Website nun ein personenbezogenes Profil auf einer geschlossenen Plattform eines Unternehmens hatte. Die sozialen Medien, das soziale Web war geboren. Neu war auch die Funktion, dass man Informationen einem selbst bestimmten Benutzerkreis zugÀnglich machen konnte.

Ist die BeschrĂ€nkung von Informationen nun undemokratischer? Ist Social Media ein RĂŒckschritt? Nein, denn auf diesen geschlossenen und vom Betreiber ĂŒberwachten (moderierten, zensierten, nenne es, wie Du willst) Plattformen wird eine andere Art von Informationen ausgetauscht. Sind wir ehrlich: FĂŒr die meisten von uns ist die Masse der Postings auf Facebook einfach nur schrecklich uninteressant. Ohne die Algorithmen, die die Timeline auf Facebook filtern, wĂŒrden wir in der Belanglosigkeit von Katzenvideos und SinnsprĂŒchen untergehen.

Die meisten Menschen auf Facebook schreiben dort keine eigenen, originĂ€ren BeitrĂ€ge. Sie teilen von anderen verfasste BeitrĂ€ge. Es ist ein wenig wie an einem sehr großen Stammtisch, an dem die Meinung der Bild-Zeitung, der Auto-Motor-und-Sport und der Privatsender wiedergegeben werden: Die Menschheit braucht das nicht zwingend, aber es ist gut fĂŒr das soziale Zusammenleben.

Das Internet wird mobil
Als 2007 als logische Entwicklung und Symbiose von Mobiltelefon und PDA das erste iPhone auf dem Markt erschien, wurde es auf einmal möglich, dass man „sein“ Internet mitnahm. War man frĂŒher nur via SMS mobil erreichbar, so gab es plötzlich Instant Messenger wie WhatsApp oder SnapChat. Die Handys machten immer tollere Bilder, also gab es Plattformen wie Instagram.

Sonderfall Twitter
Warum aber wurde gerade Twitter so beliebt? Warum war es das Mittel der Wahl im arabischen FrĂŒhling? Vielleicht weil die Twitter-App viel schneller als die App von Facebook ist. Weil man durch die Hashtags (#) Informationen selber markieren, taggen konnte. Weil man durch eigene Filter die Nachrichten gezielt suchen konnte. Weil ein Tweet immer auf 140 Zeichen beschrĂ€nkt ist, die Information darin ist komprimiert, zwangsweise auf den Punkt gebracht. Ein Tweet auf Twitter ist aber vor allem anderen immer eines: öffentlich!

Heute
Warum habe ich die Geschichte noch einmal erzĂ€hlt? Weil sich das WWW gewandelt hat. FrĂŒher waren die Webseiten meist statisch, ohne Interaktion durch den Nutzer. Heute sind große Webseiten aufwĂ€ndig zu pflegen und benötigen oftmals gleich mehrere Rechenzentren. Das kostet alles enorme Summen von Geld. Es geht den Telekommunikationsanbietern gerade in Deutschland sehr, sehr gut. Der Mobilfunkmarkt ist unter drei großen Anbietern zu gleichen Teilen aufgeteilt. Die „letzte Meile“ ist im Besitz der Telekom. Es gibt drei große Kabelnetzbetreiber und einige unbedeutende regionale Anbieter. Wir zahlen im europĂ€ischen Vergleich mit die höchsten BetrĂ€ge um online gehen zu können – bei gleichzeitig eher bescheidenen Zugangsgeschwindigkeiten. Von den Gewinnen der Telekommunikationsgesellschaften sehen aber die Betreiber der Webseiten keinen Cent.

Facebook, Google & Co kosten dem Benutzer kein Geld. Wir sprechen dabei von den reichsten Unternehmen der Welt! Wie machen die das? Ganz klar: durch Werbung! Nun mĂŒssen wir uns vor Augen halten, dass Werbung immer eine Zielgruppe anspricht und gut platziert sein will. In den Printmedien ist das noch recht einfach, in den sozialen Medien aber deutlich schwerer. Soziale Medien sind schnell und aktuell, keiner der Nutzer klickt auf Werbung, die ihn nicht interessiert. Schlimmer noch: nervt die Werbung, installiert der Nutzer vielleicht sogar einen Werbeblocker. Folglich ist es notwendig, die Nutzer zu identifizieren und ihre Interessen exakt zu bestimmen. Das kollidiert leider oft genug mit dem Datenschutz.

‹Die Zukunft
Genau dieser Datenschutz und die Meinungsfreiheit ist auch Donald Trump ein Dorn im Auge. Am 14. Dezember 2017 will die US-Regierung der FCC (Ă€hnlich unserer Bundesnetzagentur) die Kontrolle ĂŒber die ISPs (Internet Service Provider) entziehen. Damit soll es weniger Datenschutz und NetzneutralitĂ€t geben.

Was ist die NetzneutralitÀt? Die deutsche Wikipedia fasst es gut zusammen:

„NetzneutralitĂ€t bezeichnet die Gleichbehandlung von Daten bei der Übertragung im Internet und den diskriminierungsfreien Zugang bei der Nutzung von Datennetzen. Netzneutrale Internetdienstanbieter behandeln alle Datenpakete bei der Übertragung gleich, unabhĂ€ngig von Sender und EmpfĂ€nger, dem Inhalt der Pakete und der Anwendung, die diese Pakete generiert hat.“

Demokratisches Internet
Die NetzneutralitĂ€t sorgt also dafĂŒr, dass Datenpakete immer gleich behandelt werden, egal ob ich auf Youtube ein Let’s Play ansehe, auf Netflix eine Serie schaue, auf Facebook die Urlaubsbilder eines Bekannten durchblĂ€ttere, eine WhatsApp an die Oma schreibe, mit der Cousine in Übersee skype, oder als Dissident politische Botschaften verbreite. Da es kaum noch echte TelefonanschlĂŒsse gibt, werden auch die meisten Telefonate ĂŒber VoIP gefĂŒhrt. Keiner dieser Dienste darf folglich benachteiligt werden.

In Europa ist der „Digitalkommissar“ GĂŒnther Oettinger ein glĂŒhender Verfechter eines Mehr-Klassen-Internets. Er fĂŒhrt, bei stetig wachsender Bandbreite und Übertragungsgeschwindigkeit, SonderfĂ€lle und Nischenanwendungen wie Remote-Operationen am offenem Herzen an. NatĂŒrlich darf bei ihm auch die Wichtigkeit des autonomen Fahrens nicht unerwĂ€hnt bleiben. Klingt wichtig, oder? Ist es auch fĂŒr ihn, denn er will ja wissen, wann wer wo unterwegs ist. Autonomes Fahren bedeutet, dass die Fahrzeuge autonom fahren und dafĂŒr benötigen sie kein Internet. Das wĂ€re auch ziemlich sinnfrei und gefĂ€hrlich. Eine Vernetzung autonomer Fahrzeuge dient nur der Verkehrsflusskontrolle und -steuerung sowie der Überwachung der BĂŒrger.

Freiheit der Informationen
Freiheit bedeutet bei der Abschaffung der NetzneutralitĂ€t immer die Freiheit des stĂ€rkeren, reicheren. Damit ist aber nicht der Kunde gemeint. Der ist wie immer am Ende der Nahrungskette. Eine Aufhebung der NetzneutralitĂ€t hat nur zum Ziel, dass sich fĂŒr die Internetserviceprovider neue Verdienstmöglichkeiten auftun! Es gibt keinen technischen Grund dafĂŒr.

Abgezockt
Dem Kunden kann man nun aber kĂŒnstlich „Premium-Angebote“ machen. Er zahlt freiwillig mehr, wĂ€hnt sich ĂŒber dem gemeinem Pöbel und versteht rein gar nichts von der Technik. Er zahlt zum Beispiel fĂŒr ein ruckelfreies Netflix weitere zehn Euro im Monat. Aber eben an den ISP – nicht an Netflix. Die NestwĂ€rme, die der „Premiumkunde“ dabei fĂŒhlt, rĂŒhrt von der ReibungswĂ€rme her, die entsteht, wenn man ĂŒber den Tisch gezogen wird. Die Abschaffung der NetzneutralitĂ€t dient einzig der Gewinnmaximierung der Internetanbieter.

Die Abschaffung der NetzneutralitĂ€t ist antidemokratisch, da man dadurch privaten Unternehmen die volle Kontrolle ĂŒber den Informationsfluss im Internet gibt. Seiten wie Tellerrandforschung, die Artikel wie diesen veröffentlichen könnten ebenso blockiert werden, wie die Informationen von Whistleblowern. NetzneutralitĂ€t bedeutet Demokratie.

Gegenwehr
Als die Telekom 2013 eine Volumenbegrenzung der Flatrate (die dann keine Flatrate mehr ist) ankĂŒndigte, ernteten sie einen Shitstorm und ein Gerichtsurteil, das sie eilig zurĂŒckrudern ließ. Deswegen gaben sie aber ihre PlĂ€ne nicht auf und boten auch 2016 LTE-VertrĂ€ge an, die gegen die NetzneutralitĂ€t verstießen: Skype und VoIP funktionierte mit diesen VertrĂ€gen nicht.Sie versuchen es halt immer und immer wieder. Sie sprechen von einer „FlatratementalitĂ€t“, die suggeriert, dass der Kunde eine nur begrenzt vorhandene „Ware“ unmĂ€ĂŸig verbrauchen wĂŒrde. Bei einigen technisch unbedarften Leuten verfangen solche Parolen tatsĂ€chlich. Wieso fallen mir da direkt wieder Politiker wie der Oettinger oder die Republikaner in den USA ein?

Die Zukunft bleibt spannend.
Aber wir dĂŒrfen sie nicht ahnungslosen Politikern ĂŒberlassen, die von Lobbyisten manipuliert werden.
Benutzt Eure Macht als Kunden!

Wehrt Euch!
Sobald Euer ISP EinschrĂ€nkungen in Eurem Internetzugang ankĂŒndigt (die werden meist als tolle Neuerung angepriesen), protestiert per Mail, Fax oder Brief dagegen! Macht den Marketing-Leuten und Buchhaltern klar, dass Kundenzufriedenheit 1:1 AktionĂ€rszufriedenheit bedeutet.

BTW: Drosselt Dein ISP? Finde es hier heraus!

Anmerkung: Die Bilder entstanden fĂŒr das Projekt DigitalRetroPark und den For-Amusement-Only, fĂŒr die ich ein Schaufenster im „der buchladen“ einrichtete. Den Aufkleber auf dem NeXT-Cube, dem ersten Webserver der Welt, baute ich in Photoshop aus Bildern der zerrissenen Originals nach. GlĂŒcklicher Weise ist Tim Berners-Leee Handschrift der meinen sehr Ă€hnlich. 🙂

Über den Autor

Hessi

Michael "Hessi" Heßburg ist ein erfahrener Technik-Enthusiast und ehemaliger Informatiker. Seine Website, die er seit ĂŒber 25 Jahren betreibt, deckt vielfĂ€ltige Themen ab, darunter Haus & Garten, Hausrenovierung, IT, 3D-Druck, Retrocomputing und Autoreparatur. Zudem behandelt er gesellschaftspolitische Themen wie Datenschutz und Überwachung. Hessi ist seit 20 Jahren freiberuflicher Autor und bietet in seinem Blog fundierte Einblicke und praktische Tipps. Seine BeitrĂ€ge sind sorgfĂ€ltig recherchiert und leicht verstĂ€ndlich, um Leser bei ihren Projekten zu unterstĂŒtzen.

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