Erinnerungen: Mein Atala Hop

Vor einigen Monaten stöberte ich im Internet nach einem alten Fahrrad von mir, einem Atala Hop. Das war im Prinzip die Idee eines Bonanza-Fahrrades zu Ende gedacht. Statt nur eine angedeutete Federung zu haben, war dieses Rad wohl eines der ersten sogenannten „Fullys“, ein voll gefedertes Fahrrad. Im Netz lerne ich dann, dass Bonaza-Rad ein Begriff wie „Tempo-Taschentuch“ ist. Ein Markenname wurde zum Gattungsbegriff. In Österreich setzte sich der Markenname „High Riser“ durch. Bei meinen Recherchen stiess ich die sehr geile Seite von René, der dort seine Highriser-Fahrräder präsentiert und auch einiges über die Szene zu berichten weiss. Da sich jeder Webseitenbetreiber über Feedback freut, griff ich in die Tasten und schrieb ihm eine Mail:

Hallo René,

wunderbare Räder, tolle Site, super Bilder. Auch das Youtube-Video mit Eurem „Wettkampf“ hat mir sehr viel Spass gemacht. Schade, dass ich dann doch ein wenig zu weit weg wohne.

Neulich stöberte ich mit meinem Sohn in den alten Bildern. Da fiel uns auch ein Photo seines alten Kawasaki MX 20“ in die Hände. Das ist so ein sackschweres, extrem massives Fully für Kinder gewesen. Er bekam gleich wieder diesen Blick… Du weisst schon! Der muss ansteckend sein, denn ich erinnerte mich gleich an mein Lieblingsrad: ein Atala Hop! Ich wollte meinem Sohn zeigen, was ich damals für ein saucooles Rad hatte, aber ich hatte leider nie Bilder davon gemacht. Also flugs Tante Google um Rat gefragt! Da es aber nicht sonderlich viele Infos zum Atala Hop gibt, landet man zwangsweise auf Deiner Seite.

Mein erstes Rad überhaupt war ein leuchtend oranges Bonanza-Rad. Das muss so 1972 gewesen sein, zu meinem fünften Geburtstag. Die glänzende Farbe leuchtete in der Frühlingsonne mit den Chromapplikationen um die Wette. Der langgestreckte schwarze Bananensattel wurde hinten von einem glitzernden Chrombügel – der Sissybar – gehalten und sah so verdammt lässig aus. Auf den beiden Oberrohren befand sich ein großer schwarzer Ganghebel, seitlich mit Holzdekor verziert, der augenscheinlich direkt aus der Mittelkonsole eines US-Muscle-Car stammte. Die Vorderradgabel hatte verchromte Spiralfedern, die eine Federung imitierten. Das kam mir allerdings schon als Fünfjähriger suspekt vor.

Das Bonanzarad stand auf dem Bürgersteig neben dem flammneuen, renngelben Fiat 128 meiner Mutter und der roten Guilia meines Vaters. Die Gulia hatte sogar eine grüne Alfa-Romeo-Schlange auf der Motorhaube. Kein lahmer Käfer, kein spiessiger Kadett oder altmodischer Ford Taunus neben einem Klapprad. Nein! Alfa, Fiat und ein Bonanzarad! Zeitgeistiger geht es kaum. Ich könnte auch schwören, dass ich durch das offene Seitenfenster das Autoradio die Bee Gees mit „Sweet Song of Summer“ spielen hörte.


(Fiat 128, Wikimedia, gemeinfreies Bild von Charles01, 1970)


(Alfa Romeo Guilia, Wikimedia, Creative Commons-Lizenz, Bild von Charles01, 1978)

Auf diesem Rad lernte ich also tatsächlich das Radfahren. So ein Bonanza ist eher suboptimal um darauf zu lernen. Man sitzt zu hoch und die Räder sind zu klein – das Rad ist eigentlich dauernd am kippeln. Aber wenn man mit dem Ding fahren kann, dann kann man alles fahren, was zwei Räder hat.

Ich weiss noch, dass ich mir während der Fahrt immer wieder die vielen tollen Details an dem Rad angeschaut habe, während mein Vater hinten das Rad im Gleichgewicht hielt. Was interessierte mich, was vor mir auf der Strasse vor sich ging? Irgendwann musste er losgelassen haben, denn er antwortete nicht mehr auf meine Fragen. Muss ich extra erwähnen, dass die Fahrt abrupt in einem Jägerzaun endete, als ich mich nach ihm umdrehte und den verchromten Chopperlenker dabei verriss? Was am Ende mit dem Rad passiert ist, weiss ich gar nicht mehr. Ich entsinne mich nur noch, dass ich auf der letzten Fahrt über eine Plastiktüte fuhr und sich der der Kunststoff direkt in das Tretlager arbeitete.

Irgendwann später baute ich ein silbernes Klapprad um: Ich sägte von einem kaputten Rennrad die Gabel weit oben ab, sägte an der Klappradgabel das Maul für die Achse ab und steckte die Rennradgabel so auf die Gabel des Klapprades, dass die Enden nach unten zeigten. Da ich als Zwölfjähriger natürlich kein Schweissgerät besass, musste die Konstruktion erstmal so halten. Vorne also ein 28er Reifen an einer endlos langen Gabel, hinten das 20er originale Rädchen. Ein echter Low-Cost-Chopper.

Dann die Probefahrt. Ich wollte das Rad eigentlich zu einer Autowerkstatt fahren lassen und die Gabel dort schweissen lassen. Aber… das Geschoss liess sich so wunderbar fahren! Also weitete ich die Probefahrt aus. Eine langgezogene Zufahrt runter zur Fulda – wir waren in Büchenwerra in unserem Wochenendhaus. Ich kam mir vor wie Peter Fonda in Easy Rider, also liess ich es locker rollen. Fantastisch! Unten angelangt fiel mein Blick beiläufig auf den Klappverschluss des Rades, oder eben nicht! Der fehlte nämlich! Bei den Lackarbeiten hatte ich den entfernt und wieder vergessen einzubauen. Den Rückweg schob ich das Rad dann sicherheitshalber lieber doch.

{phocamaps view=map|id=1}
Weiter kam ich mit meinem Umbau damals nicht. :-)

Auf einem Campingurlaub mit Onkel und Tante in Italien (Venezien, Jesolo, Campinggarden Paradiso) im Jahr 1982, sah ich im Schaufenster des örtlichen Fahrradhändlers, direkt am Hafen, ein gelbes Atala Hop. Ich wusste nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte! Das Fahrrad hatte vorne und hinten Federn! Wie ein Motorrad! Das gab es ja noch nie! Echte Federn! Nicht solche Fake-Federn wie bei meinem Bonanzarad! Vorne eine klassische Teleskopgabel und hinten zwei Federbeine mit getürkten Ölausgleichsbehältern, welche sogar nutzlose kleine Schläuche für den Druckausgleich hatten. Der schwarze Lenker hatte ein Sturzpolster und auf dem Oberrohr thronte fast der gleiche Ganghebel wie auf meinem Bonanzarad zuvor! Eine lange und breite Sitzbank mit kleiner, angedeuteter Sissybar wurde von zwei racingmässig gelochten Trägern gehalten. Der große Scheinwerfer hatte einen Steinschlagschutz! Die Räder hatten Decken mit Enduro-Profil und dazu echte Trommelbremsen! Absoluter Wahnsinn! Breite, weisse Kunststoffschutzbleche mit Rennaufklebern rundeten das äusserst gelungene Design (in den Augen eines Kindes) ab.


(Atala Hop, (c) René Walter, Highriser.at)

Ich war sofort heftig verliebt. Mein Cousin und mein kleiner Bruder drückten sich neben mit die Nasen an der Scheibe platt. Wir hatten alle ein äußerst heftiges Must-Have-Gefühl. Mein Cousin Andreas kaufte sich am nächsten Tag das Atala in gelb. Mist! Das war meine Lieblingsfarbe und die stand dem Rad auch noch so verdammt gut! Ich wollte ihm nie etwas nachmachen. Gelb war also gestorben. In rot sah das Ding doch auch nicht übel aus, oder? Ja, rot, war super. Oder so. Ich machte tags darauf also meine auf einem Sparbuch feststeckende Konfirmationskohle durch einen Privatkredit bei meinem Onkel klar. Zahlbar ohne Zinsen direkt nach Rückkehr in der Heimat. Mit meinem Cousin cruisten wir auf dem weitläufigen Campingplatz wie die Irren herum. Mit 14 Jahren war ich für das Geschoss definitiv zu groß, aber es war einfach nur geil.

Mein kleiner Bruder (11) sagte nichts, war aber total fertig – und nachvollziehbar neidisch. In meiner Freude über das Rad merkte ich das aber gar nicht. Erst mein Onkel redete mit mir und fragte, ob ich ihm das Geld nicht bis zu seiner Konfirmation leihen könnte. Er würde es wieder bis zur Rückkehr vorstrecken. Ich lieh also meinen Bruder das Geld, wenn ich mich recht entsinne waren das 350,- DM. Bruder war happy und kaufte sich das Teil in… rot. *seufz*


{phocamaps view=map|id=2}
Campinggarden Paradiso, Lido di Jesolo

Die Rückfahrt war interessant, denn schließlich hatten wir drei Fahrräder mehr als bei der Hinfahrt – und an dem perlmutt-weißen VW Bus (T2, erste Serie) mit Westfalia-Camping-Ausstattung hing schon ein vollgestopfter Anhänger! Letztlich passten die Räder aber irgendwie noch mit hinein und kamen auch sicher zu Hause an. Das Geld brachte ich meinem Onkel dann persönlich vorbei. Auf meinem neuen Atala Hop!

Wir fuhren damals immer querfeldein durch die Aue in Kassel und waren auf den Abenteuerspielplätzen die Attraktion unter den anderen Kids – jeder BMX-Fahrer wollte mal eine Runde mit den Atalas drehen. Neidlos muss ich anerkennen, dass die Jungs der ungefederten Fraktion einige lässige Tricks mit meinem Rad hinlegten, die mir nie gelangen.


{phocamaps view=map|id=3}
Abenteuerspielplatz in der Fuldaaue

Heute hat jedes Fahrrad dicke Reifen, eine Federung oder sogar Scheibenbremsen. Aber damals war das ein absolut ungewöhnlich. In Deutschland gab es vergleichbare Räder nicht. Offensichtlich wurden auch die Atala Hop nicht importiert – weder offiziell noch inoffiziell. Es war also immer spannend mit diesem Rad unterwegs zu sein.

Einmal war ich länger beim Kieferorthopäden, die feste Klammer musste man wieder getunt werden, da versagte mir bei der Rückkehr zu meinem Rad das Deo: Das rote Atala war verschwunden! Gut, ein Zahlenschloss mag nicht die adäquateste Sicherung für so ein Rad sein, aber eigentlich ist das doch durch die Seltenheit gesichert. Die Mona Lisa klaut ja schliesslich auch niemand, oder wie? Mit pochendem Herzen suchte ich die Umgebung ab und da fuhr mein Rad die Treppenstrasse hoch und runter! Ohne mich! Mein energisch hervorgebrachtes „Äähhhh?“ veranlasste die Jungs aber, mir mein Rad zurückzugeben. Sie entschuldigten sich für das Ausleihen – die Versuchung wäre einfach zu groß gewesen.

Später brach dann eine der unteren Federbeinaufnahmen an der Schwinge einfach ab, aber eine freundliche Autowerkstatt schweisste sie mir wieder kostenlos dran. Auch die fanden das Rad nur liebenswürdig-schräg. Irgendwann war ich dann tatsächlich zu groß und zu schwer für das Rad: Die Knie stiessen beim Fahren schon gegen die Ellbogen. Für die Fahrt in die Schule musste dann ein schnödes aber praktischeres Rennrad her. Meinem Bruder ging es ähnlich und blieben unsere beiden coolen Gefährte immer öfter im Keller. Eines Tages waren beide Atala Hops aus dem abgeschlossenen Keller verschwunden. Einzig mein Cousin, bzw. jetzt mein Onkel, hat noch sein Rad. Leider ist das total abgerockt – es fehlen eigentlich alle Anbauteile. Schade. Aber egal, es ist leider einfach zu klein.

Mein Traum wäre es, wenn ich das Atala Hop in meiner Größe neu bauen (lassen) könnte – vielleicht mit 24“-Rädern? Ich fürchte aber, dass ich das nicht gestemmt bekomme. Naja, vielleicht klappt es ja doch irgendwann? Das wird dann aber definitiv in gelb lackiert!

Über den Autor

Hessi

Hessi

Michael "Hessi" Heßburg ist ein erfahrener Technik-Enthusiast und ehemaliger Informatiker. Seine Website, die er seit über 25 Jahren betreibt, deckt vielfältige Themen ab, darunter Haus & Garten, Hausrenovierung, IT, 3D-Druck, Retrocomputing und Autoreparatur. Zudem behandelt er gesellschaftspolitische Themen wie Datenschutz und Überwachung. Hessi ist seit 20 Jahren freiberuflicher Autor und bietet in seinem Blog fundierte Einblicke und praktische Tipps. Seine Beiträge sind sorgfältig recherchiert und leicht verständlich, um Leser bei ihren Projekten zu unterstützen.

Schreibe einen Kommentar

Ich bin mit der Datenschutzerklärung und der Speicherung meiner eingegebenen Daten einverstanden.