Schach dem G7000!

Das Schachmodul fĂŒr die Konsolen der Videopac-Computer-Serie von Philips ist nicht nur ein einfaches Modul. Bereits die GrĂ¶ĂŸe suggeriert, dass der KĂ€ufer hier weit mehr bekommt, als gewohnt. Dieses Modul wurde zu einem Preis verkauft, der – mit rund 300,- DM – beinahe dem der Konsole entsprach. Bekam man einen echten Mehrwert, oder witterte Philips bei den Schachspielern ungeahnte Geldreserven?

Damals

NatĂŒrlich leistete ich mir als Kind kein Schachmodul, das hĂ€tte einen Taschengeldvorschuss bedingt, der mein soziales Leben als Heranwachsender auf Jahre hinaus stark beeintrĂ€chtigt hĂ€tte. NatĂŒrlich war ich von diesem Modul angetan. Alleine die blaugraue Packung hatte diesen Hauch des professionellen Spiels. Plastisch fĂŒhrte eine krĂ€ftige Hand gebieterisch den mĂ€chtigen, dreidimensionalen Springer von oben auf sein unsichtbares Opfer. Die Packung vermied – im deutlichen Kontrast zu der Verpackung des G7000 selber – konsequent die Darstellung von Kindern in gestreiften Strickpullundern ĂŒber grellorangenen Rollkragenpullovern und gab sich ganz der SeriositĂ€t hin.

FĂŒr mich war der Preis jenseits von gut und böse, Top-Titel kosteten 89,- DM, dieses eine einzige Spiel – ganz ohne Monster, Explosionen oder BĂ€lle – sollte aber bald das Vierfache kosten! Nein, ausgeschlossen! Und trotzdem war da etwas, das den Hightech-Freak in mir ansprach: Dieses Modul war ein ganzer Computer fĂŒr sich alleine! Wow! Man brauchte gleich zwei Computer um Schach zu spielen! Faszinierend!

EigenstĂ€ndige Schachcomputer, also solche mit einem Brett und Figuren gab es damals zu Hauf. Bekannte Namen waren Mephisto oder Saitek. Ja, Saitek, heute bekannt fĂŒr die guten Joysticks, baute seinerzeit einen Schachroboter, der die Figuren selbsttĂ€tig bewegte. Diese GerĂ€te gab es bereits ab rund 200,- DM, die Oberklasse kostete um die 5.000,- DM.

Heute

Durch Zufalll und nebenbei fand ich im Angebot eines großen Internet-Auktionshaus neulich so ein Schachmodul. Das Angebot ĂŒberflog ich mehr als flĂŒchtig, schĂ€tzte den Wert fĂŒr mich auch 31,- EUR und gab die Daten in meinen Sniper ein. Dann vergass ich diese Auktion vollstĂ€ndig. Eines Abends prĂ€sentierte mir das Mailprogramm eine gewonnene Auktion! Ich hatte das Modul fĂŒr 30,50 EUR bekommen! Das freute mich sehr, aber durch die Grippe des VerkĂ€ufers verzögerte sich der Versand doch um einige Tage.

Da ich die Auktion wirklich nur ĂŒberflogen hatte, nahm ich an, dass die OVP des Moduls im altersĂŒblichen Zustand wĂ€re und rechnete beinahe damit, dass sie mich – wie seinerzeit der C65 – ohne weitere Umverpackung erreichen wĂŒrde. Schön mit braunem Paketband umwickelt, auf dem letzten freien StĂŒckchen Karton klebt der Adressaufkleber – alles schon mal dagewesen.

Aber weit gefehlt: Das Modul ging in einem etwas grĂ¶ĂŸeren Karton als schĂŒtzende Umverpackung auf die Reise und erreicht mich wahrhaftig unversehrt. An diesem Tag hatte ich aber keine Zeit fĂŒr Retromodule, also musste das Paket noch warten. Vorfreude ist doch die schönste Freude.

Auspacken


Die Umverpackung ist akzeptabel, der Microsoft-Schriftzug Geschmackssache


Nicht gepolstert, aber sei es drum. Die OVP ist weit besser als erwartet!


(Ja, das sieht gut aus, sehr gut sogar!)


(Der einzige Makel: Der ausgeschnittene Springer, der bei Verwendung als „3D“-PrĂ€sentationsbox ausgeklappt wird, ist leicht eingeknickt und es gibt einen Riss an der Seite des Ausschnitts)


(Wie aus dem Laden: das Handbuch)


(Man beachte den Ausschnitt fĂŒr den Modulgriff in der Styroporschale. Seltsames Detail)


(Oooh! Sogar die SchutzhĂŒlle ist noch mit dabei! Toll!)


(Das ist es: Die Recheneinheit und das Modul, welches die Verbindung zur Konsole herstellt)

Das Modul bezieht seinen Strom von der G7000-Konsole. Bei 5V zieht es maximal 300mA, also moderate 1,7 Watt. Im „Huckepack“-Modul befindet sich ein fast kompletter Rechner mit eigener CPU, RAM und ROM. Das G7000 wird quasi als dummes Terminal nur fĂŒr die Grafikausgabe und als Tastatur benötigt


(Winzig: Haken, der in die LĂŒftungsgitter des G7000 greift und das Schachmodul dort einigermassen sicher befestigt)


(Sitzt, passt, wackelt und hat Luft)


(G7000 mit aufgesetztem Schachmodul)


(Phantasie wird benötigt: abstrakte Darstellung)

Das Spiel an sich

Im Spielbetrieb fĂ€llt als erstes auf, dass die Spielfiguren etwas arg stilisiert wurden. WĂ€hrend man die Bauern noch erkennt, wird man im spĂ€teren Spielverlauf ohne einen Blick in die Anleitung kaum intuitiv einen Turm von einen LĂ€ufer unterscheiden können. Ist aber vermutlich reine Übungssache.

Das Spiel wird genau so bedient, wie man es erwarten wĂŒrde, eine Anleitung ist dafĂŒr unnötig. Zuerst wird der Schwierigkeitsgrad abgefragt. Es stehen sechs Level zur VerfĂŒgung. ZĂŒge tĂ€tigt man durch simple Eingaben auf der Tastatur: B-2-B-4-Enter. Illegale ZĂŒge werden nicht angenommen. Dann blinkt erst einmal unten rechts die Anzeige, dass die Konsole ihren Zug berechnet. Im Level 1 dauert es selbst beim ersten Zug mehrere Sekunden, bis der Gegner endlich zieht. Das ist aus heutiger Sicht enttĂ€uschend, entsprach aber damals dem Stand der Technik. Das C7010 erreicht um die 1650 ELO-Punkte – das ist fĂŒr ein solches GerĂ€t ein normaler Wert.

Hardware

Der Intel 8048H mit seinen internen 5,91 MHz (extern 1,79) und den kĂŒmmerlichen 192 Byte (nicht KByte!) wĂ€re von der Rechenleistung sicher in der Lage gewesen einen wĂŒrdigen Schachgegner abzugeben, es fehlte aber an RAM. Eine RAM-Erweiterung in einem Modul wĂ€re möglich gewesen, aber der Grund ist in der Harvard-Architektur des 8048 zu suchen. Dabei werden fĂŒr Code (ROM) und Daten (RAM) verschiedene Datenbusse verwendet. Der Daten-Bereich kann dabei bei der 8048 maximal 256 Bytes umfassen.

Man hĂ€tte also auch ein grĂ¶ĂŸeres RAM extern ĂŒber ein Videopac anschließen können, aber nur noch vergleichsweise langsam darauf zugreifen können – was das ganze System extrem ausgebremst hĂ€tte.

„Richtige“, also eigenstĂ€ndige Schachcomputer dieser Tage benutzten einen MOS 6502 oder gar einen Motorola 68000. In einigen werkelten aber auch Ziliog Z80-CPUs. Im Schachmodul von Philips verrichtet eine National Semiconductor NSC800 mit immerhin 4,43 MHz ihren Dienst. Dies ist nicht nur ein einfacher Z80-Klon, sondern eigentlich ein Upgrade-Prozessor, der 8085-System auf das Niveau von Z80-Maschinen hob. Warum man ausgerechnet einen Upgrade-Prozessor fĂŒr ein neu entwickeltes(?) System verwendete hatte, bleibt das Geheimnis der Entwickler.

Interessant hierbei ist, dass das Schachmodul fĂŒr den Mitbewerber Interton VC4000 ebenfalls einen kompletten Z80-Rechner beinhaltete. Wer dazu nĂ€here Informationen hat, den bitte ich sich bei mir zu melden.
Aber auch fĂŒr den Commodore 64 gab es die Final Chesscard, welche die 6510-CPU durch eine 6502-CPU mit 5 MHz erweiterte. Dadurch stieg die Rechenleistung des C64 um rund das fĂŒnffache. Wie beim C7010 wurde der Hauptrechner nur fĂŒr die Ein- und Ausgabe verwendet.

Software

Die Software stammt von Wim Rens, einem HollĂ€nder, der bei der Firma „Microtrend International BV“ in Amsterdam arbeitete oder dem diese Firma gehörte. Auch hier wieder eine Vermutung: Wim Rens programmierte Schach auf Z80-CPUs, z.B. im Gegensatz zu Spraklen (6502) und Lang (68000). Offenbar traten diese drei, bzw. deren Schachprogramme oder -computer seinerzeit in Computerschachturnieren gegeneinander an. Weitere bekannte Programmieren waren, bzw. sind unter anderem: Richard Lang, Ed Schröder, Franz Morsch, C. Donninger, Julio Kaplan, Johan de Koning, Ulf Rathsmann, Thomas Nitzsche, Dave Kittinger.

Die Informationen dazu sind aber nur spĂ€rlich und auch hier freue ich mich ĂŒber weiterfĂŒhrende Informationen.

Was bringt es zum ticken?

Die Angabe auf der Verpackung sind gut und schön. Auch das Modul sieht gut aus, aber da scheint jede Menge Luft drin zu sein. Oben erwÀhnte ich ja die CPU des Modules. Woher weiss ich das? Ich habe das Modul geöffnet.

Jaaa, jetzt wird es interessant. Wer von uns schraubt seine GerÀte denn nicht gerne auf, wenn man sie dabei nicht beschÀdigt?

Das Modul hat keinerlei Schrauben. Soweit, so schlecht. Ich mache es kurz und erspare Euch die Schilderung, wie ich das GehĂ€use dreht und wendete, in’s Licht hielt. Es verdrehte und GegenstĂ€nde in die Öffnungen schob. Letztlich ist es recht einfach zu öffnen:

Zuerst biegen wir die vordere Deckplatte ein wenig nach vorne, dies funktioniert am besten ĂŒber dem LĂŒftungsgitter:


(vorsichtig aufbiegen)

Nun drĂŒcken wir mit dem Flaschenöffner eines Taschenmessers oder mit einem einfachen Eisstiel aus Holz die Nasen in den drei lĂ€nglicheren Schlitzen soweit ein, bis die Spannung unter die wir die Frontplatte durch das Aufbiegen setzten, die Verriegelung öffnet.


(normales Taschenmesser)


(beherzt aber vorsichtig zu Werke gehen!)


(eine der Nasen, die die Verriegelungslaschen festhielten)


(weitgehend leer: Schachmodul von innen)

Die Platine ist nur in das GehÀuse gesteckt, man kann sie einfach nach vorne herausziehen. Die Unterseite hat eine massive Abschirmung gegen die Störstrahlung aus dem recht wenig geschirmten G7000.


(Abschirmung)


(Modul von oben)

Auf der Platine sehen wir von links nach rechts:
Ausgabe-Latch (NSC800 => 8048 ), ROM-Sockel fĂŒr 8K-ROMs in 24 poligem GehĂ€use (Adressbereich 0-8K), ROM-Sockel fĂŒr 8K-ROMs in 28 poligem GehĂ€use (gleicher Adressbereich 0-8K), NEC 4016 2 KB RAM, Adresslatch (*), CPU NSC800 (=Z80 Befehlssatz mit 8085-kompatiblen Anschluss und Timing).
(*) Die CPUs 8085 bzw. hier NSC800 ĂŒbertragen Daten und einen Teil der Adresse ĂŒber die gleichen AnschlĂŒsse zu verschiedener Zeit. Deswegen ist es notwendig, den zuerst ĂŒbertragenen Adressteil zwischenzuspeichern.

Interessant ist, dass bei der Speicherdekodierung ein zweites ROM im Bereich 8-16K berĂŒcksichtigt wurde – dieses aber nirgends eingesteckt werden kann. Statt dessen wird ein 24-poliger und ein 28–poliger Sockel fĂŒr ein und den selben Adressbereich zur VerfĂŒgung gestellt. Damit konnte die Platine sowohl mit preiswerteren ROMs im 24 poligen GehĂ€use, als auch mit teureren EPROMs im 28 poligen GehĂ€use betrieben werden.

Im Modul, welches im G7000 steckt, befindet sich laut Servicemanual ebenfalls ein ROM. Das kleinere Modul lann man nicht öffnen, ohne das Label zu beschĂ€digen, also bleibt es zu und Ihr bekommt davon keine Bilder zu Gesicht. Das ROM auf der Hauptplatine enthĂ€lt das pure Z80-Schachprogramm, das im kleinem Modul enthĂ€lt den 8048H-Code fĂŒr die Tastaturein- und Grafikausgabe auf dem G7000, also die Schnittstelle zum Spieler.

An dieser Stelle vielen lieben Dank an die Benutzer „for(;;)“ (der nennt sich wirklich so), „Ezeyer“ und „kdl64“ aus dem Forum64 fĂŒr die fachliche Hilfestellung bei diesem Artikel. Von „for(;;)“ stammen alle detailierten technischen Informationen zu der Arbeitsweise des Moduls und den verwendeten ICs.

Ich hoffe, dieser Bericht hat Euch Spass gemacht und Ihr habt nicht ganz AlltÀgliche Einblicke in alte Hardware bekommen.

Gruß
Michael

WeiterfĂŒhrende Informationen:
http://www.schachcomputer.info
http://www.schachcomputer.at/
http://videopac.nl

Schreibe einen Kommentar

Ich bin mit der DatenschutzerklÀrung und der Speicherung meiner eingegebenen Daten einverstanden.